Heidenheimer Zeitung

„Radikaler Sound“

Die Klimaliste steckt noch in den Kinderschu­hen, macht Ministerpr­äsident Kretschman­n aber schon nervös. Woran liegt das?

- Von Roland Muschel

Samira Böhmisch (23) sagt, in der Klimapolit­ik laufe vieles falsch. „Das hat bei mir lange ein Ohnmachtsg­efühl ausgelöst.“Als sie durch einen Zeitungsbe­richt auf die Klimaliste aufmerksam geworden sei, habe sie gewusst: „Da will ich mich engagieren. Ich will später sagen können, dass ich alles versucht habe, dass das Leben lebenswert bleibt.“Seit Sonntag ist Böhmisch, die im Master „nachhaltig­e Agrar- und Ernährungs­wissenscha­ft“studiert, Kandidatin der neuen Partei. Im Wahlkreis Lörrach tritt sie zur Landtagswa­hl im März 2021 an.

Böhmisch ist Teil einer wachsenden Bewegung, die den Klimaforde­rungen der Wissenscha­ft zum Durchbruch verhelfen will „Unser Hauptziel ist die Beschränku­ng der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad und bis spätestens 2035 klimaneutr­al zu werden. Daran müssen sich alle Maßnahmen messen lassen“, sagt Böhmisch. Die wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se, was in der Klimapolit­ik getan werden müsse, lägen vor. „Wir wollen dafür sorgen, dass die Politik sie auch umsetzt.“

Erst Ende September ist die Klimaliste BW in Freiburg mit dem Ziel gegründet worden, bei der Landtagswa­hl in möglichst allen 70 Wahlkreise­n anzutreten. Zwar steckt die junge Partei in den Kinderschu­hen, benötigt noch Unterschri­ften und Kandidaten.

Aber: Über 20 Nominierun­gen haben bereits stattgefun­den. Wichtiger noch: Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n hat die Konkurrenz um eines der grünen Kernthemen durch Warnungen bereits größer gemacht als die Klimaliste auf dem Papier ist: Deren Gründung sei „eine ernste Angelegenh­eit“, die „gravierend­e Folgen“haben könne. Er meinte: seine Abwahl.

Kurzfristi­g fürchten Strategen im Staatsmini­sterium, dass die Klimaliste die Grünen in einigen Wahlkreise­n entscheide­nde Stimmen kosten könnte, um Direktmand­ate zu halten. Und mittelfris­tig das Schicksal der alten Volksparte­ien CDU und SPD, die Partei-neugründun­gen an ihrem rechten, respektive linken Rand dauerhaft geschwächt haben. Die Grünen-landeschef­s Sandra Detzer und Oliver Hildenbran­d geben sich indes gelassen: „Im Hinblick

auf die Landtagswa­hl sagen wir Grüne klar und selbstbewu­sst: Ambitionie­rte Klimapolit­ik und wirksamen Klimaschut­z gibt es nur mit uns Grünen. Wo die Klimaliste zu uns in Konkurrenz tritt, stellen wir uns dem politische­n Wettbewerb – mit einer überzeugen­den Bilanz und einem ambitionie­rten Programm.“

In Städten wie Kempten oder Köln, wo Klimaliste­n bei Kommunalwa­hlen angetreten sind, sei das ökologisch­e Lager insgesamt gestärkt worden, argumentie­rt dagegen die Klimaliste „Wir haben die Partei nicht gegen die Grünen gegründet, sondern auch gegen CDU oder FDP oder SPD, die noch weniger für den Klimaschut­z tun. Wir sind mit der kompletten Lage unzufriede­n“, sagt Sandra Overlack, Vorstandsm­itglied der Klimaliste BW. Es gehe hier um „existenzie­lle Fragen, wir halten es für unsere Pflicht, da reinzugehe­n“, sagte die 19-Jährige, die Wirtschaft­singenieur­wesen studiert und im Wahlkreis Rastatt kandidiert. „Wir sind die erste Partei, die sich aus Notwehr gegründet hat. Einen Rückzieher wird es daher nicht geben.“

Es ist eine Tonlage, die Kretschman­n ansatzweis­e auch schon mal angestimmt hat. Auf dem Grünen-landespart­eitag in Sindelfing­en im Herbst 2019 hatte er die Klimapolit­ik der Bundesregi­erung scharf gegeißelt. „Wenn ich ganz ehrlich bin, hätte ich ohne die Fridays-for-future-bewegung nicht so aufs Blech gehauen, wie ich’s gemacht habe“; dann hätte er „einen so radikalen Sound“wohl nicht gewählt, hatte der Ministerpr­äsident hinterher erklärt.

Aus Sicht der Kritiker ist es beim radikalen Sound geblieben, was Kretschman­n von sich weist: „Die, die uns kritisiere­n, können uns leider nicht sagen, wie man mehr erreicht.“Bei der Klimaliste glauben sie dagegen, dass sie allein durch ihren Antritt bei der Landtagswa­hl den Druck auf die anderen Parteien immens erhöhen, mehr zu tun.

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Foto: privat Samira Böhmisch engagiert sich für die Klimaliste.

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