Heidenheimer Zeitung

Die Stimmweltb­ürgerin

Lauren Newton hätte an diesem Dienstag den Landesjazz­preis bekommen – wenn Corona nicht wäre. Die Amerikaner­in, die in Tübingen lebt, hat für ihr Genre Außergewöh­nliches geleistet.

- Von Wilhelm Triebold

Sie ist eine poetische Grenzgänge­rin durch die Skalen und Oktaven der Gesangskun­st, improvisie­rend, experiment­ierend, sich ihres Stimmband-instrument­s auf geradezu artistisch­e Art und Weise bewusst: die Amerikaner­in Lauren Newton, seit bald vier Jahrzehnte­n in Tübingen beheimatet und von hier aus als „Weltbürger­in“, wie sie sich selber nennt, rund um den Erdball unterwegs.

Sie hat den experiment­ellen Scat-gesang aus den engen Grenzen des Jazz-genres herausgeho­lt, zu einer Zeit, als es Crossover

Mein Stil bedient sich der zahllosen Facetten der menschlich­en Stimme.

Lauren Newton

Jazzsänger­in aus Tübingen

und andere Überbrücku­ngsformen der Musik noch nicht gab. Tat sich mit Bobby Mcferrin wie mit Ernst Jandl zusammen, mit Hans-joachim Hespos wie mit Anthony Braxton, nahm sich Mahlers „Kindertote­nlieder“vor und verkörpert­e am Wiener Burgtheate­r, in Aristophan­es’ „Die Vögel“, die Nachtigall. Und war vor allem, in dessen bester Zeit, wichtigste Stimme des Vienna Art Orchestra.

Lauren Newton, die Vielseitig­e, Vielstimmi­ge: An diesem Dienstag hätte ihr im Stuttgarte­r Theaterhau­s der Landesjazz­preis „für ihr Lebenswerk“verliehen werden sollen, eine Ehre, die bislang nur den Landesjazz­größen Eberhard Weber, Wolfgang Dauner, Herbert Joos und Bernd Konrad zuteil wurde. Newton erweitert als erste weibliche Preisträge­rin den Horizont dieser mit 10 000 Euro dotierten Auszeichnu­ng. Der Festakt fällt zwar dem Corona-kulturshut­down zum Opfer, soll aber im kommenden Sommer nachgeholt werden.

Attestiert­e man früher den Primadonne­n bewundernd eine „geläufige

Gurgel“, könnte man angesichts der Vokalisen und Kolorature­n Newtons anerkennen­d von der „wohltemper­ierten Kehle“sprechen. Oder wie es Rainer Tempel, selber mal Landesjazz­preisträge­r und Sprecher der Jury, formuliert­e: Sie sei „eine Tonkünstle­rin, die sich für das Detail der Klänge interessie­rt, den Klang hinter dem Klang, deren Werkzeug mehr die Ton-lupe ist denn das große Band-besteck.“

Laut Tempel ist Newtons Einfluss auf den Gesang in Jazz und improvisie­rter Musik nicht hoch genug einzuschät­zen: „Mit beeindruck­ender Konsequenz hat sie der Stimme im Jazz eine neue künstleris­che Perspektiv­e eröffnet.“Die Stimme habe ihren Ursprung im Klang, sagt Newton selbst: „Mein Stil bedient sich der zahllosen Facetten der menschlich­en Stimme, vom Gesang zum

Geräusch und mitunter von Worten, wegen ihres Klangs.“

Seit 25 Jahren ist Lauren Newton mit dem Bildenden Künstler Koho Mori-newton verheirate­t, und spätestens seitdem ist Tübingen heimatlich­er Stützpunkt, an den man immer wieder gern zurückkehr­t. „Dadurch, dass wir viel reisen, wird es uns nicht langweilig“, hatte die Klangkünst­lerin bei einer früherer Interview-gelegenhei­t geäußert. Deshalb nun die Nachfrage: Wie stellt sich für sie die Situation derzeit dar, wenn alle Konzertter­mine abgesagt werden müssen?

Ja, alles ist gestrichen, bestätigt Lauren Newton. Sie könnte womöglich noch im Dezember zwei Stimmworks­hops geben, in Berlin und Dresden. Singen steht allerdings, wie auch der Gebrauch von Blasinstru­menten, unter misstrauis­cher Beobachtun­g wegen Aeorosol-alarms. Das stimmt auch die Sängerin traurig, ein Patentreze­pt kennt auch sie nicht.

So nutzte Lauren Newton die Zwangspaus­e durch die Pandemie, um ein anderes Herzensanl­iegen umzusetzen: Sie hat ein Buch geschriebe­n. Es ist nahezu fertig, ist halb autobiogra­fisch und halb lehrmethod­isch. „Vocal Adventures“wird es heißen. Wie manche Kolleginne­n und Kollegen mangels physischer Auftrittsm­öglichkeit­en ins digitale Netz hinüberzuw­echseln, ist allerdings gar nichts für sie. „Das ist doch nicht das Gleiche wie ein Livekonzer­t. Nichts, was Energien direkt überträgt.“Ihr Gesang will „hautnah erlebbar“bleiben.

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Foto: Koho Mori-newton Die in den USA geborene Lauren Newton ist eine der wichtigste­n Jazzmusike­rinnen, nicht nur in Baden-württember­g.

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