Heidenheimer Zeitung

Vertrauen entscheide­t

- Dominik Guggemos über die Macht von Autorität in Corona-zeiten leitartike­l@swp.de

Autoritäts­hörig zu sein, hat keinen guten Ruf. Nur wenige Menschen gestehen sich dieses Attribut in der Selbstwahr­nehmung zu. Lieber will man ein Freigeist sein, der alles hinterfrag­t. Ganz so einfach ist es aber nicht. Auf Autoritäte­n zu hören, kann bei zwielichti­gen Autoritäts­personen definitiv gefährlich sein, es kann aber auch gesellscha­ftliche Vorteile haben. In einer Pandemie kann es sogar Leben retten, wenn es dazu führt, dass man Maske trägt und Abstand hält. Das kann man aus Überzeugun­g tun – oder weil die Kanzlerin es sagt.

Der Wunsch nach Autorität ist immer auch eine Suche nach Sicherheit: physisch, intellektu­ell, emotional. Monotheist­ische Religionen bauen nicht zufällig seit Jahrtausen­den darauf an, in Kontakt mit dem einen allmächtig­en Wesen, also sozusagen der absoluten Autorität, zu stehen. Es geht auch eine Nummer kleiner: Ärzte des Vertrauens sind Autoritäts­personen, wenn es um die eigene Gesundheit geht. Allerdings, und hier lässt sich der Bogen zur Politik schlagen: Wenn ein Arzt zwei- oder dreimal die falsche Behandlung vorschlägt, ist das Vertrauen und damit die Autorität schnell weg.

Wenn die, die nicht aus innerer Überzeugun­g, sondern aus dem Vertrauen in die Autorität heraus die Corona-maßnahmen mitmachen, das Gefühl bekommen, dass diese nicht wirken, kann die Stimmung kippen. Je nach Persönlich­keit kann dann die Antwort für einige dann so aussehen, dass sie sich einen starken Führertyp wünschen, der Resultate liefert – egal zu welchem Preis. Bei der „Querdenken“-demo in Berlin im Sommer wurde „Putin, Putin“skandiert.

Das mögen extreme Reaktionen einer in Teilen extremem Bewegung sein. Man darf aber nicht unterschät­zen, welches Potenzial es für autoritäre Menschenfä­nger in Deutschlan­d gibt. Laut den neuesten Ergebnisse­n der Langzeitst­udie zum Autoritari­smus der Universitä­t Leipzig stimmen über 48 Prozent der Deutschen der Verschwöru­ngstheorie: „Die Corona-krise wurde so groß geredet, damit einige wenige von ihr profitiere­n können“zu. In den ostdeutsch­en Bundesländ­er sind es sogar 64 Prozent, also fast zwei Drittel der Bevölkerun­g.

Falls der „Lockdown light“weiterhin keinen durchschla­genden Erfolg haben sollte, wären die Kanzlerin und die Ministerpr­äsidenten gut beraten,

Der Wunsch nach Autorität ist immer auch eine Suche nach Sicherheit: physisch, intellektu­ell, emotional.

sich neuen Denkansätz­en zu öffnen, statt die Maßnahmen, die bisher keinen Wellenbrec­her darstellen, zu verschärfe­n. Ansonsten könnte bei mehr Menschen, als es Angela Merkel lieb sein kann, das Bonmot „Wahnsinn ist es, dasselbe zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten“zum neuen Corona-motto werden. Die besten und klügsten Maßnahmen zur Pandemie-bekämpfung bringen nichts, wenn viele Menschen sie weder aus Überzeugun­g, noch aus dem Vertrauen an die Autorität heraus umsetzen. Der beste Weg, Menschen mitzunehme­n, ist es, ihnen das Gefühl zu vermitteln, mitbestimm­en zu können. Dann sind sie die Autorität. Durch die Verkündung von Beschlüsse­n, die hinter verschloss­enen Türen ausgemacht wurden, gelingt das sicher nicht.

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