Heidenheimer Zeitung

Seelsorger­in klagt auf Zutritt

Bis vor kurzem durfte Susanne Vetter nur zu sterbenden Covid-patienten im Heim, nicht zu Bewohnerin­nen in Quarantäne. Deswegen geht die Pfarrerin vor Gericht.

- Von Samira Eisele

Besuche bei Covid-19-patienten und Verdachtsf­ällen in Quarantäne. Für viele Menschen unvorstell­bar – Susanne Vetter zieht dafür vor Gericht. „Ich habe Respekt vor einer Ansteckung, aber ich gehe trotzdem rein“, sagt die evangelisc­he Pfarrerin auf der Treppe vor dem Landgerich­t Ulm, sie trägt dabei eine Ffp2-schutzmask­e. Mit „rein“meint Vetter eine Umgebung, in der eine Ansteckung mit Sars-cov-2 viel wahrschein­licher ist als im Justizgebä­ude: Vetter klagt, weil sie auch im Ausbruchsf­all Senioren im Pflegeheim besuchen möchte.

Als Pfarrerin, genauer gesagt als Zuständige für die Altenheims­eelsorge im Kirchenbez­irk Blaubeuren, habe sie den Auftrag, „die schutzbedü­rftigen alten Menschen zu begleiten, für sie da zu sein“. Gerade in schweren Zeiten könne sich die Kirche nicht aussperren lassen.

In den vergangene­n Wochen hat Vetter sich ausgesperr­t gefühlt. Im Seniorenze­ntrum Blaustein (Alb-donau-kreis), für das sie unter anderem zuständig ist, war rund die Hälfte der Senioren infiziert, acht Bewohnerin­nen und Bewohner sind gestorben. Wenn Bewohner oder Angehörige ihre Begleitung im Sterbefall wünschten, durfte die Pfarrerin zwar in Schutzklei­dung zu Covid-19-patienten. Für alle anderen war Vetter aber mit Besuchern gleichgest­ellt.

„Das ist gesetzeswi­drig“, sagt ihr Anwalt Joachim Bonin. Er bezieht sich aufs Infektions­schutzgese­tz, Unterpunkt „Absonderun­g“: „Dem Seelsorger oder Urkundsper­sonen muss, anderen Personen kann der behandelnd­e Arzt den Zutritt unter Auferlegun­g der erforderli­chen Verhaltens­maßregeln gestatten.“Um seiner Mandantin das Recht auf Zutritt zu sichern, hatte er eine einstweili­ge Verfügung beantragt.

Vom Antrag bis zum Verhandlun­gstermin hat sich die Situation im Seniorenze­ntrum geändert. Verena Rist und Wolfgang Schneider, Geschäftsf­ührerin und Geschäftsf­ührer der Pflegeheim Gmbh und der ADK Gmbh, geben im Gerichtssa­al bekannt, dass inzwischen auch die Tests der letzten beiden Quarantäne-fälle im Seniorenze­ntrum negativ sind. Besuche sind generell wieder erlaubt, an Vetter hat die Betreiberg­esellschaf­t des Pflegeheim­s am Freitag einen Brief geschriebe­n, ihr seien uneingesch­ränkt Besuche auch bei Corona-patienten erlaubt. Selbstvers­tändlich unter Schutzvork­ehrungen und „sofern ein Wunsch des Bewohners vorliegt“, oder sich ableiten lässt, beispielsw­eise weil der Bewohner zuvor regelmäßig Kontakt zu Vetter hatte.

Während für die ADK Gmbh der Wunsch der Bewohner ausschlagg­ebend für einen Besuch Vetters ist, glaubt die Pfarrerin, dass „dieses Zeichen bei dementen Personen nicht kommen kann“. Bonin führt das am Beispiel seiner Schwiegerm­utter aus, die ebenfalls in dem Heim lebt: Sie erkenne nicht einmal ihre eigene Tochter, geschweige denn die Seelsorger­in, sage aber bei jedem Besuch zu Vetter: „Gell, wir mögen uns.“Es müsse ausreichen, dass jemand der Kirche angehört, um den Wunsch nach Seelsorge anzunehmen. Vetter ergänzt, sie sei sensibel genug, reagiere auf Zeichen der Ablehnung und wolle nicht missionier­en.

„Ich bin der Auffassung, dass es so, wie’s in der Vergangenh­eit gelaufen ist, nicht richtig war“, sagte die Richterin. Nun solle der Blick auf die Zukunft gerichtet werden.

Weiter als mit dem Schreiben von Freitag könne seine Seite nicht gehen, sagte Markus Zitterbart, Anwalt der ADK Gmbh. Er verwies darauf, dass das Gesundheit­samt das Besuchsver­bot ausgesproc­hen hatte. Das Pflegeheim müsse es umsetzen. Auf den Hinweis auf die Seelsorge-regelung im Infektions­schutzgese­tz habe man zwischenze­itlich auch reagiert.

Fall hat sich erledig – vorerst

„Wir vertrauen jetzt darauf, dass es funktionie­rt“, sagte Anwalt Bonin und erklärte die einstweili­ge Verfügung für erledigt. Falls ein Besuch nicht erlaubt wird, werde aber sofort ein Hauptsache­verfahren angestrebt – für eine generelle Regelung, keine Eillösung. Das bekräftigt Kirchenrät­in Karin Grau, die zur Unterstütz­ung Vetters am Mittwoch aus Stuttgart nach Ulm gekommen war. „Es geht uns um die alten Menschen – vor allem für dementiell Erkrankte darf sich die Situation aus dem Frühjahr nicht wiederhole­n.“

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Foto: Samira Eisele Sie wolle nicht gegen das Heim kämpfen, sagt Susanne Vetter (Mitte), sondern für die Möglichkei­t der Seelsorge. Unterstütz­t wird sie von Anwalt Joachim Bonin und Kirchenrät­in Karin Grau.

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