Löw in der Falle: Nur Rücktritt hilft
Das 0:6 gegen Spanien hat es deutlich gemacht: Nach 14 Jahren ist es für den Bundestrainer Zeit zu gehen. Dfb-präsident Fritz Keller spricht sich für den Langzeit-coach aus. Von
Fassungs- und beinahe regungslos sitzt Joachim Löw auf der Bank und will einfach nicht glauben, was er da sieht. Oliver Bierhoff geht es auf der Tribüne nicht deutlich besser. Der Dfb-direktor schlägt die Hände vors Gesicht: Spanien, ohnehin schon ein Angstgegner, hat einer völlig desorientierten deutschen Fußball-nationalmannschaft zum Abschluss des ohnehin heiklen Corona-jahres 2020 die höchste Niederlage in der Amtszeit des Langzeit-bundestrainers verpasst.
Das 0:6 (0:3) im 189. Länderspiel unter Löws Regie war dazu in der Höhe absolut verdient. Platz für profane Entschuldigungen gab es nicht – und niemand wollte diese Leistung wohl auch irgendwie relativieren. Neben der im direkten Duell um Platz eins verpassten Qualifikation für das Finalturnier der Nations League war die Fußball-lehrstunde auch ein heftiger Stimmungskiller für das kommende Em-jahr. „Wir sind heute klar zurückgeworfen worden“, sagte Löw nach der Partie in der ARD. Er rang um Worte und um Fassung. „Es war ein rabenschwarzer Tag. Es hat nichts funktioniert. In jeglicher Beziehung war es schlecht.“
Der 60-Jährige vermisste ganz besonders „Körpersprache, Körperspannung, Zweikampfverhalten“. Man müsse nun „die richtigen Schlüsse ziehen“. Aufgeregte Debatten erwarten den Bundestrainer also in der viermonatigen Winterpause. Allerdings nicht aus Richtung des DFB. Nach der Rückreise am Mittwoch und einem kurzen Krisengespräch sprach Dfb-präsident Fritz Keller dem Bundestrainer das Vertrauen aus.
Dennoch: Die „Schmach von Sevilla“hat zwei Fragen aufgeworfen, die miteinander verwoben sind und die dringend bis Ende des Jahres beantwortet werden müssen.
Ist Joachim Löw noch der richtige Trainer für die Dfb-auswahl? Müssen die ausgebooteten Jerome Boateng, Thomas Müller (beide FC Bayern) und Mats Hummels (Borussia Dortmund) zurück in die Nationalmannschaft?
Joachim Löw hat im Sommer 2006 Jürgen Klinsmann als Bundestrainer abgelöst und große Erfolge gefeiert, zum Beispiel den Wm-sieg 2014 in Brasilien. Die WM 2018 in Russland, mit dem erstmaligen Ausscheiden nach der Gruppenphase, war ein Desaster – sowohl sportlich als auch sportpolitisch (Theater um Özil und Gündogan). Es wäre der richtige Zeitpunkt gewesen für einen Cut, um einen Neuaufbau, frei von persönlichen Altlasten, und auch eine taktische Neuausrichtung zu ermöglichen. Aber Löw wollte Bundestrainer bleiben, Oliver Bierhoff hat es geschehen lassen – und danach war nichts mehr, wie es einmal war.
Der größte Fehler war, wohl auch geboren aus einer gewissen Hybris, der Rauswurf von Boateng, Müller und Hummels. Löw wollte einer anderen Generation die Hand reichen, hat sich jedoch verschätzt in der Qualität der Nachrücker. Nicht bei allen (Joshua Kimmich), aber bei vielen. Dazu kam, dass Löw den Faktor Teamgeist und Führungskultur unterschätzt hat. In beiden Bereichen gibt es aktuell enorme Defizite. Hand auflegen hat nicht funktioniert. Und um Selbstheilungskräfte
in Gang zu setzen, fehlt es an Persönlichkeiten.
Der Bundestrainer hat die Ausbootung dermaßen ungeschickt kommuniziert und als alternativlos hingestellt, dass er nun keine Chance mehr hat, ohne Gesichtsverlust sich aus der selbst gestellten Falle zu befreien. Selbst der DFB mit seiner enorm gewachsenen Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit hat nicht reagiert.
Dazu kommt, dass Löw, wie beim Spanien-debakel, zum Teil regungslos auf der Bank saß und alles andere als einen motivierten Eindruck machte. Es hilft nicht: Das muss sich Löw an- und zurechnen lassen.
Wenn also noch irgendjemand die Euro im Jahr 2021 retten kann, dann ist es Joachim Löw selbst mit seinem Rücktritt. Dass Ralf Rangnick und Jürgen Klopp geeignete Kandidaten sind, steht außer Frage. Löw-assistent Marcus Sorg ist für den Job wohl zu unerfahren.
Ein neuer Bundestrainer hätte die Möglichkeit, unbelastet an der Teamstruktur arbeiten zu können. Da würde dem Bundesliga-trio, das nachweislich noch kann, aber zuletzt nicht durfte, eine entscheidende Rolle zufallen. Dem Defensivverbund, in dem der verletzte Kimmich fehlte, mangelt es an Sicherheit, Abstimmung und Ordnung. Boateng vielleicht, in jedem Fall aber Hummels und Müller (als Spieler und auch als Führungskraft) hätten das Zeug, Stabilität ins Team zu bringen.
Letztendlich hat es Joachim Löw, dessen Vertrag noch bis zur Weltmeisterschaft 2022 in Katar läuft, selbst in der Hand, den aktuellen Zustand zu ändern – durch seinen Rücktritt.
Wir sind klar zurückgeworfen worden. In jeglicher Beziehung war es schlecht.
Joachim Löw
Bundestrainer