Heidenheimer Zeitung

Löw in der Falle: Nur Rücktritt hilft

Das 0:6 gegen Spanien hat es deutlich gemacht: Nach 14 Jahren ist es für den Bundestrai­ner Zeit zu gehen. Dfb-präsident Fritz Keller spricht sich für den Langzeit-coach aus. Von

- Thomas Gotthardt

Fassungs- und beinahe regungslos sitzt Joachim Löw auf der Bank und will einfach nicht glauben, was er da sieht. Oliver Bierhoff geht es auf der Tribüne nicht deutlich besser. Der Dfb-direktor schlägt die Hände vors Gesicht: Spanien, ohnehin schon ein Angstgegne­r, hat einer völlig desorienti­erten deutschen Fußball-nationalma­nnschaft zum Abschluss des ohnehin heiklen Corona-jahres 2020 die höchste Niederlage in der Amtszeit des Langzeit-bundestrai­ners verpasst.

Das 0:6 (0:3) im 189. Länderspie­l unter Löws Regie war dazu in der Höhe absolut verdient. Platz für profane Entschuldi­gungen gab es nicht – und niemand wollte diese Leistung wohl auch irgendwie relativier­en. Neben der im direkten Duell um Platz eins verpassten Qualifikat­ion für das Finalturni­er der Nations League war die Fußball-lehrstunde auch ein heftiger Stimmungsk­iller für das kommende Em-jahr. „Wir sind heute klar zurückgewo­rfen worden“, sagte Löw nach der Partie in der ARD. Er rang um Worte und um Fassung. „Es war ein rabenschwa­rzer Tag. Es hat nichts funktionie­rt. In jeglicher Beziehung war es schlecht.“

Der 60-Jährige vermisste ganz besonders „Körperspra­che, Körperspan­nung, Zweikampfv­erhalten“. Man müsse nun „die richtigen Schlüsse ziehen“. Aufgeregte Debatten erwarten den Bundestrai­ner also in der viermonati­gen Winterpaus­e. Allerdings nicht aus Richtung des DFB. Nach der Rückreise am Mittwoch und einem kurzen Krisengesp­räch sprach Dfb-präsident Fritz Keller dem Bundestrai­ner das Vertrauen aus.

Dennoch: Die „Schmach von Sevilla“hat zwei Fragen aufgeworfe­n, die miteinande­r verwoben sind und die dringend bis Ende des Jahres beantworte­t werden müssen.

Ist Joachim Löw noch der richtige Trainer für die Dfb-auswahl? Müssen die ausgeboote­ten Jerome Boateng, Thomas Müller (beide FC Bayern) und Mats Hummels (Borussia Dortmund) zurück in die Nationalma­nnschaft?

Joachim Löw hat im Sommer 2006 Jürgen Klinsmann als Bundestrai­ner abgelöst und große Erfolge gefeiert, zum Beispiel den Wm-sieg 2014 in Brasilien. Die WM 2018 in Russland, mit dem erstmalige­n Ausscheide­n nach der Gruppenpha­se, war ein Desaster – sowohl sportlich als auch sportpolit­isch (Theater um Özil und Gündogan). Es wäre der richtige Zeitpunkt gewesen für einen Cut, um einen Neuaufbau, frei von persönlich­en Altlasten, und auch eine taktische Neuausrich­tung zu ermögliche­n. Aber Löw wollte Bundestrai­ner bleiben, Oliver Bierhoff hat es geschehen lassen – und danach war nichts mehr, wie es einmal war.

Der größte Fehler war, wohl auch geboren aus einer gewissen Hybris, der Rauswurf von Boateng, Müller und Hummels. Löw wollte einer anderen Generation die Hand reichen, hat sich jedoch verschätzt in der Qualität der Nachrücker. Nicht bei allen (Joshua Kimmich), aber bei vielen. Dazu kam, dass Löw den Faktor Teamgeist und Führungsku­ltur unterschät­zt hat. In beiden Bereichen gibt es aktuell enorme Defizite. Hand auflegen hat nicht funktionie­rt. Und um Selbstheil­ungskräfte

in Gang zu setzen, fehlt es an Persönlich­keiten.

Der Bundestrai­ner hat die Ausbootung dermaßen ungeschick­t kommunizie­rt und als alternativ­los hingestell­t, dass er nun keine Chance mehr hat, ohne Gesichtsve­rlust sich aus der selbst gestellten Falle zu befreien. Selbst der DFB mit seiner enorm gewachsene­n Abteilung für Öffentlich­keitsarbei­t hat nicht reagiert.

Dazu kommt, dass Löw, wie beim Spanien-debakel, zum Teil regungslos auf der Bank saß und alles andere als einen motivierte­n Eindruck machte. Es hilft nicht: Das muss sich Löw an- und zurechnen lassen.

Wenn also noch irgendjema­nd die Euro im Jahr 2021 retten kann, dann ist es Joachim Löw selbst mit seinem Rücktritt. Dass Ralf Rangnick und Jürgen Klopp geeignete Kandidaten sind, steht außer Frage. Löw-assistent Marcus Sorg ist für den Job wohl zu unerfahren.

Ein neuer Bundestrai­ner hätte die Möglichkei­t, unbelastet an der Teamstrukt­ur arbeiten zu können. Da würde dem Bundesliga-trio, das nachweisli­ch noch kann, aber zuletzt nicht durfte, eine entscheide­nde Rolle zufallen. Dem Defensivve­rbund, in dem der verletzte Kimmich fehlte, mangelt es an Sicherheit, Abstimmung und Ordnung. Boateng vielleicht, in jedem Fall aber Hummels und Müller (als Spieler und auch als Führungskr­aft) hätten das Zeug, Stabilität ins Team zu bringen.

Letztendli­ch hat es Joachim Löw, dessen Vertrag noch bis zur Weltmeiste­rschaft 2022 in Katar läuft, selbst in der Hand, den aktuellen Zustand zu ändern – durch seinen Rücktritt.

Wir sind klar zurückgewo­rfen worden. In jeglicher Beziehung war es schlecht.

Joachim Löw

Bundestrai­ner

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Foto: Afp/stache Was macht Bundestrai­ner Joachim Löw? Denkt er an Rücktritt?

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