Heidenheimer Zeitung

„Die Lage ist prekär“

Immer weniger Ärzte im Landkreis kümmern sich um schwer Drogenabhä­ngige. Stefan Hirner und Mark Ayrer sind Suchtexper­ten. Im Interview sprechen sie von einer akuten Versorgung­slücke bei der Substituti­on, Vorurteile­n gegenüber Opiatsücht­igen und einer alte

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Wer an Heroin denkt, hat Bilder von ausgemerge­lten Zombies auf dem Straßenstr­ich vor Augen. Christiane F. und der Bahnhof Zoo in Berlin. Aber das ist mehr als 40 Jahre her. Spielt die Droge Heroin spielt nach wie vor eine heute wirklich noch eine Rolle? Rolle. Allerdings eher unter dem Oberbegrif­f Opiate, Stefan Hirner: zu denen Heroin zählt. Ist die Situation wirklich vergleichb­ar mit den Hirner: Die Anzahl der Opiatabhän­gigen ging und 70ern? geht nicht signifikan­t zurück. Wir haben noch immer dasselbe Problem. Der Unterschie­d ist, dass die Leute damals primär Heroin auf eine sehr ungesunde Weise, nämlich intravenös, konsumiert haben. Heute konsumiere­n die meisten Opiatabhän­gigen Substituti­onsmittel. Menschen, die täglich Heroin spritzen sind eher eine Randgruppe. Hirner: Genau.

Substituti­onsmittel wie Methadon?

Aber Methadon wird doch in der Suchtthera­pie

Hirner: Das stimmt. Aber Opiate wie Methadon, Polamidon

quasi als Arzneimitt­el eingesetzt. oder Subutex werden auch missbrauch­t. Einerseits sind das verordnete Präparate, anderersei­ts sind sie auf dem Schwarzmar­kt relativ leicht zu bekommen. Wir haben Klienten, die niemals Heroin konsumiert haben, sondern über diese Ersatzdrog­en abhängig geworden sind.

Mark Ayrer: Oder man rutscht über den Missbrauch von Schmerzmit­teln wie Tilidin in die Opiatabhän­gigkeit.

Das kennt man aus Teilen der USA. Jedes Jahr sterben dort Zehntausen­de. Sie sind über opioidhalt­ige Schmerzmit­tel süchtig geworden und später zu Heroin gewechselt. Haben wir

Hirner: Zumindest kann man sagen, dass es in

auch in Deutschlan­d ein Problem?

den vergangene­n 30 Jahren bei Opiatabhän­gigen eine starke Veränderun­g gab. Wir haben heute viel mehr Menschen, die Substituti­onsmittel verordnet bekommen und einnehmen, aber eben auch missbrauch­en.

Das ist für Laien insofern verwirrend, weil man denkt, dass die Substituti­on Menschen aus der

Hirner: Wenn der Arzt nach Stellung der Diagnose

Sucht hilft und nicht mehr Süchtige produziert.

dem Patienten das Ersatzmitt­el verschreib­t und dieser es regelmäßig einnimmt, ist das in keiner Weise ein Problem, sondern eine Behandlung, die sehr erfolgsver­sprechend ist. So kann die gesundheit­liche Situation stabilisie­rt werden. Und nur wer überlebt, kann auch irgendwann vielleicht aussteigen.

Hirner: Wir versuchen, eine psychosozi­ale Stabilisie­rung

Was ist denn Ihre Aufgabe? zu erreichen. Und das funktionie­rt auch. Ich bin seit 1997 in der Suchtberat­ung tätig und es gibt Klienten, die ich nahezu von Beginn meiner Tätigkeit an begleite.

Hirner: Auf jeden Fall. Diese Menschen sind überwiegen­d

Ist das wirklich ein Erfolg? stabil und unauffälli­g. Sie gehen einer geregelten Arbeit nach, haben einen Führersche­in, leben vielleicht sogar in einer Eigentumsw­ohnung. Die Teilhabe unserer Klienten am Leben und der Gesellscha­ft ist unser oberstes Ziel. Abhängige können mit der richtigen Dosis an Methadon gut leben und auch leistungsf­ähig sein. Die Beschaffun­g auf dem Schwarzmar­kt verhindert aber meist die Teilhabe.

Hirner: Weil die Ersatzdrog­e oft zu hoch dosiert

Warum?

wird. Und auch, weil man täglich schnell mal 20 bis 50 Euro aufbringen muss, um den täglichen Bedarf zu decken. Wenn man keine Arbeit hat, muss man schauen, wo man das Geld dafür auftreibt. Stichwort Beschaffun­gskriminal­ität.

Ayrer: Es sediert auf eine gewisse Art. Das Ziel der

Macht Methadon ähnlich high wie Heroin?

Substituti­onstherapi­e ist aber natürlich, Entzugsers­cheinungen zu nehmen und nicht ein High zu verursache­n. Harmlos ist Methadon auf jeden Fall nicht.

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