Eine Frage der Balance
Einst flogen auf Grünen-parteitagen Farbbeutel, es wurde geschrien und heftig debattiert. Ganz anders bei der Delegiertenkonferenz in Berlin. Ruhe, Disziplin und viel Verständnis dominierten das Wochenende. Das hatte nicht nur damit zu tun, dass die Grünen als erste Partei überhaupt einen Parteitag digital veranstalten mussten. Das hatte auch mit dem Führungsduo zu tun, das die einstige Öko-partei auf den Regierungsanspruch und aufs Kanzleramt einstimmen wollte.
Damit das mit dem Regieren klappt und Koalitionen gelingen, wurde das Grundsatzprogramm breit angelegt. Extreme Positionen schafften es nicht hinein, strittige Positionen in der Klimapolitik wurden im Vorfeld abgeräumt. Baerbock und Habeck versuchten, alle mit ins grüne Boot zu holen. Sie sprachen die Autofahrer und die Radler an, die Hartz-iv-empfänger und die Unternehmer, die Pazifisten und die Realisten. Eine Antwort darauf, wie die Partei all diesen Positionen gerecht werden will, blieb sie schuldig.
Doch die Grünen werden nicht nur einen Balanceakt zwischen den unterschiedlichen Interessen vollführen müssen. Die Konflikte in ihren Reihen werden nicht einfach verschwinden. Einigen Klimademonstranten ist das Grundsatzprogramm nicht radikal genug. Doch auch wenn es die Fridays for Future-aktivisten schmerzt: Die Grünen sind trotz aller Überschneidungen nicht das politische Sprachrohr der Jugendbewegung.
Wie weit sich die Grünen von der Bewegung treiben lassen werden, zeigen erst die kommenden Monate. Ein Grundsatzprogramm setzt nur einen Rahmen, beim Wahlprogramm könnten die Grünen noch einmal nachschärfen.