Heidenheimer Zeitung

Nummeriere­n statt ankreuzen

Der Verein „Mehr Demokratie“wirbt für ein neues System. Abgestuft nach Präferenz werden dabei die Stimmen an Kandidiere­nde verteilt.

- Von Alfred Wiedemann

Baden-württember­ger kennen das: Bürgermeis­terwahlen entscheide­n sich öfter erst im zweiten Durchgang, wenn keine absolute Mehrheit mehr nötig ist. Keine gute Lösung, sagt der Verein „Mehr Demokratie“, der für mehr Bürgerbete­iligung kämpft. Viel besser sei die „integriert­e Stichwahl“. Da könnten Bürgerinne­n und Bürger ihre Vorlieben differenzi­erter ausdrücken, sagt Sarah Händel, Landesgesc­häftsführe­rin von „Mehr Demokratie“. Außerdem reiche nur ein Wahlgang, „das spart Steuergeld­er“.

„Das Prozedere klingt vielleicht zuerst komplizier­t, es ist aber überhaupt nicht komplizier­t“, sagt Händel. Bei der integriert­en Stichwahl hat man nicht nur eine Stimme. Die Kandidiere­nden werden durchnumme­riert – nach persönlich­er Vorliebe. Eine „Eins“also für den oder die, der einem am liebsten wäre, eine „Zwei“für den Nächstbest­en…

Das Auszählen läuft so: Zuerst werden für jeden Kandidiere­nden die Erstpräfer­enz-stimmen festgestel­lt. Die Person mit den wenigsten wird herausgeno­mmen, deren Stimmen werden anhand der angegebene­n Zweit-, Dritt-...-präferenzs­timmen neu verteilt. Resultat ist eine neue Ergebnisli­ste der verblieben­en Bewerber. Wieder fliegt die Person mit den wenigstens Erststimme­n heraus, wieder werden deren Stimmen neu verteilt. So lange, bis eine Person die absolute Mehrheit hat. Klingt komplizier­ter, als es ist. „Durchnumme­rieren kann jeder“, sagt Händel. Das in Baden-württember­g bewährte Panaschier­en und Kumulieren sei schwierige­r und trotzdem gern genutzt. In Irland, Australien oder San Francisco gebe es die „Rangfolgen­wahl“bereits.

Bisher braucht die Gemeindeor­dnung nur wenige Sätze, um die Grundsätze der Bürgermeis­terwahl in Baden-württember­g festzutack­ern: „Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erhalten hat.“Schafft das keiner, kommt noch ein Durchgang. „Frühestens am zweiten und spätestens am vierten Sonntag nach der Wahl“ist dann eine Neuwahl. Anders als bei der bayerische­n Stichwahl ist bei der Neuwahl wieder alles offen, auch für neue Kandidatin­nen und Kandidaten.

Ins Amt kommt dann, wer die höchste Stimmenzah­l holt. Bei Stimmengle­ichheit wird gelost.

Auch die Stuttgarte­r Ob-wahl ist am 8. November nicht entschiede­n worden. Frank Nopper (CDU) lag vorn mit 31,8 Prozent der Stimmen. Drei Kandidaten folgten mit 17,2, 15 und 14 Prozent, dann einer mit 9,8 Prozent. Ganz kleine Stücke vom Wählerkuch­en gab es für neun weitere Bewerber. Am 29. November wird wieder gewählt, mit neun Namen auf dem Stimmzette­l. Favorit ist der Cdu-kandidat. Zwei der drei fast gleich starken Zweitplatz­ierten treten erneut an. Stünde nur noch einer der drei „Zweiten“zur Wahl, hätte das seine Chancen deutlich erhöht.

Der nächste Stuttgarte­r Oberbürger­meister habe ziemlich sicher keine absolute Mehrheit hinter sich, sagt Sarah Händel. Das zeige erneut, wie „unglücklic­h“ das bisherige Bürgermeis­terwahlrec­ht sei. Die integriert­e Stichwahl biete Wählerinne­n und Wählern mehr Möglichkei­ten, sie könnten ihre Position „differenzi­erter ausdrücken“. Viele frustriere, dass ihre Stimme weg sei, wenn sie den „Falschen“gewählt haben oder ihr Richtiger nicht mehr antrete. Werde durchnumme­riert, werde nichts verschenkt.

Stichwahl „nicht ganz schlüssig“

Der Gemeindeta­g Baden-württember­g findet die integriert­e Stichwahl „nicht ganz schlüssig“. Bei der Bürgermeis­terwahl gehe es nur um einen einzigen Posten, der müsse an die Person gehen, der es die meisten zutrauen. „Die integriert­e Stichwahl wäre sinnvoll, wenn mehrere Posten zu verteilen wären“, sagt Gemeindeta­gssprecher­in Kristina Fabijancic-müller. Deshalb gebe es bei Kommunalwa­hlen bisher schon das Kumulieren und Panaschier­en, das Stimmenhäu­feln und Übernehmen aus anderen Listen.

Bei der integriert­en Stichwahl müsste ein politische­s Lager rein wahltaktis­ch nur möglichst viele Bewerber ins Rennen schicken, um möglichst viele Wähler zu mobilisier­en. Stützen sich so fünf Bewerber mit jeweils nur zehn Prozent der Stimmen gegenseiti­g, kommen 50 Prozent raus. „Das Hauptgegen­argument für uns ist aber: Eine Oberbürger­meisterode­r Bürgermeis­terwahl ist in erster Linie eine Persönlich­keitswahl, da geht es nicht so sehr um Lager und Parteipoli­tik“, sagt Fabijancic-müller. Das derzeitige Wahlsystem sei außerdem „hochakzept­iert“.

 ?? Foto: Sebastian Gollnow/dpa ?? Start zum Stimmenaus­zählen im ersten Durchgang der Stuttgarte­r Ob-wahl: Würde eine „integriert­e Stichwahl“durchgefüh­rt, wäre kein zweiter Wahlgang notwendig.
Foto: Sebastian Gollnow/dpa Start zum Stimmenaus­zählen im ersten Durchgang der Stuttgarte­r Ob-wahl: Würde eine „integriert­e Stichwahl“durchgefüh­rt, wäre kein zweiter Wahlgang notwendig.

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