Nummerieren statt ankreuzen
Der Verein „Mehr Demokratie“wirbt für ein neues System. Abgestuft nach Präferenz werden dabei die Stimmen an Kandidierende verteilt.
Baden-württemberger kennen das: Bürgermeisterwahlen entscheiden sich öfter erst im zweiten Durchgang, wenn keine absolute Mehrheit mehr nötig ist. Keine gute Lösung, sagt der Verein „Mehr Demokratie“, der für mehr Bürgerbeteiligung kämpft. Viel besser sei die „integrierte Stichwahl“. Da könnten Bürgerinnen und Bürger ihre Vorlieben differenzierter ausdrücken, sagt Sarah Händel, Landesgeschäftsführerin von „Mehr Demokratie“. Außerdem reiche nur ein Wahlgang, „das spart Steuergelder“.
„Das Prozedere klingt vielleicht zuerst kompliziert, es ist aber überhaupt nicht kompliziert“, sagt Händel. Bei der integrierten Stichwahl hat man nicht nur eine Stimme. Die Kandidierenden werden durchnummeriert – nach persönlicher Vorliebe. Eine „Eins“also für den oder die, der einem am liebsten wäre, eine „Zwei“für den Nächstbesten…
Das Auszählen läuft so: Zuerst werden für jeden Kandidierenden die Erstpräferenz-stimmen festgestellt. Die Person mit den wenigsten wird herausgenommen, deren Stimmen werden anhand der angegebenen Zweit-, Dritt-...-präferenzstimmen neu verteilt. Resultat ist eine neue Ergebnisliste der verbliebenen Bewerber. Wieder fliegt die Person mit den wenigstens Erststimmen heraus, wieder werden deren Stimmen neu verteilt. So lange, bis eine Person die absolute Mehrheit hat. Klingt komplizierter, als es ist. „Durchnummerieren kann jeder“, sagt Händel. Das in Baden-württemberg bewährte Panaschieren und Kumulieren sei schwieriger und trotzdem gern genutzt. In Irland, Australien oder San Francisco gebe es die „Rangfolgenwahl“bereits.
Bisher braucht die Gemeindeordnung nur wenige Sätze, um die Grundsätze der Bürgermeisterwahl in Baden-württemberg festzutackern: „Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erhalten hat.“Schafft das keiner, kommt noch ein Durchgang. „Frühestens am zweiten und spätestens am vierten Sonntag nach der Wahl“ist dann eine Neuwahl. Anders als bei der bayerischen Stichwahl ist bei der Neuwahl wieder alles offen, auch für neue Kandidatinnen und Kandidaten.
Ins Amt kommt dann, wer die höchste Stimmenzahl holt. Bei Stimmengleichheit wird gelost.
Auch die Stuttgarter Ob-wahl ist am 8. November nicht entschieden worden. Frank Nopper (CDU) lag vorn mit 31,8 Prozent der Stimmen. Drei Kandidaten folgten mit 17,2, 15 und 14 Prozent, dann einer mit 9,8 Prozent. Ganz kleine Stücke vom Wählerkuchen gab es für neun weitere Bewerber. Am 29. November wird wieder gewählt, mit neun Namen auf dem Stimmzettel. Favorit ist der Cdu-kandidat. Zwei der drei fast gleich starken Zweitplatzierten treten erneut an. Stünde nur noch einer der drei „Zweiten“zur Wahl, hätte das seine Chancen deutlich erhöht.
Der nächste Stuttgarter Oberbürgermeister habe ziemlich sicher keine absolute Mehrheit hinter sich, sagt Sarah Händel. Das zeige erneut, wie „unglücklich“ das bisherige Bürgermeisterwahlrecht sei. Die integrierte Stichwahl biete Wählerinnen und Wählern mehr Möglichkeiten, sie könnten ihre Position „differenzierter ausdrücken“. Viele frustriere, dass ihre Stimme weg sei, wenn sie den „Falschen“gewählt haben oder ihr Richtiger nicht mehr antrete. Werde durchnummeriert, werde nichts verschenkt.
Stichwahl „nicht ganz schlüssig“
Der Gemeindetag Baden-württemberg findet die integrierte Stichwahl „nicht ganz schlüssig“. Bei der Bürgermeisterwahl gehe es nur um einen einzigen Posten, der müsse an die Person gehen, der es die meisten zutrauen. „Die integrierte Stichwahl wäre sinnvoll, wenn mehrere Posten zu verteilen wären“, sagt Gemeindetagssprecherin Kristina Fabijancic-müller. Deshalb gebe es bei Kommunalwahlen bisher schon das Kumulieren und Panaschieren, das Stimmenhäufeln und Übernehmen aus anderen Listen.
Bei der integrierten Stichwahl müsste ein politisches Lager rein wahltaktisch nur möglichst viele Bewerber ins Rennen schicken, um möglichst viele Wähler zu mobilisieren. Stützen sich so fünf Bewerber mit jeweils nur zehn Prozent der Stimmen gegenseitig, kommen 50 Prozent raus. „Das Hauptgegenargument für uns ist aber: Eine Oberbürgermeisteroder Bürgermeisterwahl ist in erster Linie eine Persönlichkeitswahl, da geht es nicht so sehr um Lager und Parteipolitik“, sagt Fabijancic-müller. Das derzeitige Wahlsystem sei außerdem „hochakzeptiert“.