Echte Wertarbeit
Kleine Familienbetriebe mit zehn oder 20 Kühen gibt es im Allg.u nur noch wenige. Der Fotograf Christian Heumader feiert die Bergbauern mit einem Bildband: „Milch“.
Was für eine himmlische Ruhe! Nicht eine, die nervös reagiert oder aufspringt, wenn man in den Stall kommt. Die Kühe liegen da, der Kopf ruht an der Nachbarin, alle käuen wider und sind restlos zufrieden. Jede hat einen Namen und ihren eigenen Platz, so wie es sich gehört...“
Der 78-jährige Hindelanger Alfred Füß hat in seinem Leben schon viele Kuhställe gesehen, auch große und moderne, aber am meisten schwärmt er von einem kleinen, „wirklich alten, in dem fünf Kühe und zwei Jungrinder stehen“. Füß’ Leben war geprägt vom Umgang mit Vieh. Er arbeitete auf dem heimatlichen Bauernhof, als Hirte, Melker, Senn, später als Zuchtwart für landwirtschaftliche Betriebe im Oberallgäu. Als „Einrenker“ist er im Allgäu nach wie vor ein gefragter Mann. Ausgekugelte Gelenke und Fußbrüche kommen heutzutage auch deswegen häufig vor, weil die Kälber viel schneller wachsen als früher und ihre Knochen nicht mehr so kräftig sind. Abgesehen davon sind Laufställe mit Spaltenböden nicht gerade fußfreundlich: Viele Kühe leiden früher oder später unter Klauen-verletzungen und -Geschwüren.
Alfred Füß ist einer von Dutzenden Männern und Frauen, die in dem neuen, still spektakulären Bildband „Milch“versammelt sind. In Wort und Bild, im Dialekt und in Schwarzweiß, künden die Porträts vom Alltag der Bergbäuerinnen und Bergbauern, von harter Arbeit und von der Liebe zur Natur.
Wie sie allen Schwierigkeiten zum Trotz ihre kleinen Betriebe umtreiben, jeden Tag, manche ihr Leben lang, andere im Nebenerwerb, dafür hat der Hindelanger Fotograf Christian Heumader die Bauern in seiner Heimat schon immer bewundert. Der 67-Jährige selbst hat zwar keine bäuerlichen Wurzeln, aber auf einem Bauernhof in der Nachbarschaft seine halbe Kindheit verbracht. 23 Sommer lang hat er auf einer Alpe Kühe gehütet. Sein gut 300 Seiten dicker Bildband ist insofern auch eine Bilanz seiner persönlichen Erlebnisse und Begegnungen.
Vor allem aber setzt Heumader den Bergbauern ein Denkmal. Und zwar ein zukunftweisendes. Ist „das Alte“doch in mancher Hinsicht „vielleicht sogar zukunftsfähiger als das Moderne“, wie er meint. Nur ein Beispiel: Auch im Allgäu holt man das Heu heute nicht mehr mit dem Pferdegespann von der Wiese. Was nichts daran ändert, dass die steilen Hänge schwierig und nur mit viel Idealismus zu bewirtschaften sind. Ohne die Bergbauern, die diese Arbeit auf sich nehmen, würde die auch von Touristen überaus geschätzte Landschaft über kurz oder lang verwildern.
Gerade vor diesem Hintergrund sollte die Landwirtschaft in kleinbäuerlichen Strukturen viel mehr geschätzt und gefördert werden, findet Heumader. Noch dazu in topografisch anspruchsvollen Gegenden. Doch während die Bergbauern im Allgäu höchstens mit einer kleinen Aufwandsentschädigung bzw. der so genannten Behirtungsprämie rechnen können, fließen Milliarden in die industrielle Landwirtschaft auf riesigen, topfebenen, „maschinengerechten“Flächen. Mit den bekannten Folgen: Überdüngung, verschmutztes Grundwasser, tote Böden, Massentierhaltung...
Apropos Tierhaltung: Während Missstände in Großbetrieben oft erst spät entdeckt und abgestellt werden, wie etwa vor kurzem die Qualen der Kühe in einem Großbetrieb in Bad Grönenbach, wird in Kleinbetrieben gerne mal zügig tausendundeine Vorschrift exekutiert. Von der Anlage des Misthaufens (nur mit Betonplatte!) bis zur exakt temperierten Vorratshaltung. Selbst ein Landwirt mit nur einer Handvoll Milchkühe muss eine „Milchkammer“vorweisen, sonst kann er zumachen. Egal, ob der kleine Stall super in Schuss und die Milch so gehaltvoll ist, dass man ohne Weiteres Käse aus ihr machen kann. Bei Industriemilch, die im Übrigen nicht selten in ganz Europa herumgefahren wird, „schafft man das nur mit viel Chemie“, sagt Heumader.
Dass er mit seinem Plädoyer für überschaubare Familienbetriebe und artgerechte Tierhaltung die politischen Entscheider erreicht, ist freilich unwahrscheinlich. Vielleicht aber wird bei dem ein oder anderen Genießer des Bildbands ja wenigstens so viel Interesse und Begeisterung geweckt, dass dieser sein Konsumverhalten überdenkt.
„Es ist doch so, dass viele keine Beziehung zum Wert der Dinge mehr haben“, bedauert im Buch die 77-jährige Bergbäuerin Marianne Blanz. „Was gilt heute noch eine Kuh, die beim Melken einen Zehn-liter-kübel füllt? Früher freute man sich darüber. Wenn der Schaum über den Kübelrand schwappte, platzte man vor Stolz.“
Wenn die Dinge mehr wertgeschätzt würden, nicht zuletzt die Milch von fitten Kühen aus dem Allgäuer Bergland, hätten am Ende alle etwas davon. Die Verbraucher, die Tiere und auch all jene jungen Bergbauern, die ihre Zukunft allen Widrigkeiten zum Trotz im Familienbetrieb sehen. Der 26-jährige Raphael Ammann aus Unterjoch zum Beispiel ist fest entschlossen, einen Bio-heumilchbetrieb zu führen. Und die Bäuerin und dreifache Mutter Margret Käufler, 39, aus Oberstdorf verkauft schon seit 2016 erfolgreich Heumilch ab Hof. Die Kundschaft kann sich die auch ganz modern an einem Automaten abfüllen. Kuhfrisch, natürlich.
Das Alte ist in mancher Hinsicht vielleicht zukunftsfähiger als das Moderne. Christian Heumader Fotograf und Alphirte
Milch. Allgäuer Bergbauern und Bergbäuerinnen erzählen. Bergwegverlag, 304 Seiten, 48.50 Euro