Olaf Scholz und die (fast) grenzenlosen Staatsschulden
Am Freitag beschließt der Bundestag den Haushalt 2021, für den hohe Kredite nötig sind. Keiner weiß, ob das reicht.
Berlin. Deutschland kann sich die hohen Ausgaben und Schulden in der Corona-krise so lange leisten, wie es notwendig ist, wird Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) nicht müde zu betonen. Das dürfte er auch am Dienstag beim Start der Schlussberatungen des Bundeshaushalts 2021 herausstreichen. Fast 180 Milliarden Euro zusätzliche Schulden soll das Parlament genehmigen, um die Folgen der Pandemie zu bewältigen, hat sein Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Auf fast 499 Milliarden Euro sollen sich die Gesamtausgaben des Bundes im kommenden Jahr summieren.
Diese gigantischen Summen sind nur möglich, weil der Bundestag zum zweiten Mal in Folge eine Haushaltsnotlage feststellen soll. Dadurch muss er sich nicht an die Schuldenbremse des Grundgesetzes halten. In diesem Jahr dürfte er sogar 217,8 Milliarden Euro neue Kredite aufnehmen. Doch längst steht fest, dass er dies bei Weitem nicht ausnutzt.
Zuletzt hatte die schwarz-rote Koalition im Haushaltsausschuss noch 20 Milliarden Euro als Reserve für Corona-folgen draufgepackt, damit im Wahljahr nicht gleich wieder ein Nachtragshaushalt nötig ist. Es ginge auch mit deutlich weniger Schulden. Die Regierungskoalition könnte sparen – oder das dicke Sparschwein von Scholz schlachten: die Rücklage von 48,2 Milliarden Euro, die eigentlich seit 2015 zur Bewältigung der Flüchtlingskosten angelegt wurde.
Doch sie wird nicht angetastet, auch wenn dies nicht nur die Opposition immer wieder fordert. Erst müsse die Rücklage aufgelöst werden, bevor Notlagenkredite aufgenommen werden, mahnte auch Ex-verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Erst wenn sie nicht ausreichen würde, läge eine Notsituation vor.“Ein Punkt, der noch zu einer Klage in Karlsruhe führen könne.
Doch Scholz will die Rücklage erst 2022 bis 2024 auflösen, um dann wieder die Schuldenbremse einhalten zu können. Was nach deren komplizierten Regeln allerdings nicht bedeutet, dass es gar keine Neuverschuldung mehr gibt. 10,5 Milliarden Euro wären 2022 möglich, hat sein Ministerium ausgerechnet. Ob das reicht, um die Vorgaben schon dann tatsächlich wieder zu erfüllen, steht in den Sternen.
Die Länder dagegen dürfen eigentlich gar keine neuen Kredite aufnehmen, wenn die Coronanotlage überwunden ist. Das ist einer der Gründe dafür, dass sie sich in großer Einigkeit über alle Parteigrenzen hinweg gegen die Forderung wehren, sie sollten sich stärker an der Finanzierung der Wirtschaftshilfen beteiligen. Dabei hat der Bund in diesem Jahr bis einschließlich Oktober schon 89 Milliarden Euro Defizit aufgehäuft, die Länder nur 32 Milliarden Euro. Ihnen verspricht die neueste Steuerschätzung bereits im nächsten Jahr fast so hohe Steuereinnahmen wie im Vorkrisenjahr 2019. Der Bund dürfte das
Ob der Bund auf Dauer so günstige Kredite aufnehmen kann, ist nicht ausgemacht.
erst zwei Jahre später schaffen. Selbst schuld, heißt es aus den Ländern. Allein die teilweise Abschaffung des Soli 2021 kostet 10 Milliarden Euro, und sie das geht voll zu Lasten des Bundes.
Innerhalb von nur zwei Jahren, nämlich 2020 und 2021, erhöht der Bund seine Verschuldung um über 300 Milliarden Euro. Übernimmt er sich damit? Noch bekommt er problemlos neue Kredite. Doch Scholz begebe sich auf immer dünneres Eis, kritisiert Sebastian Becker, Volkswirt bei der Deutschen Bank. Ob er auch in 10 oder 15 Jahren so günstig Kredite aufnehmen könne, sei angesichts der demografischen Entwicklung und der rückläufigen Erwerbstätigkeit eine „riskante Wette“auf die künftige Zinsentwicklung.
Der Wirtschaftsweise Achim Truger hat ein anderes Rezept: „Am besten wäre es, wenn Deutschland einfach aus den Corona-schulden herauswachsen könnte“, sagte er dem „Handelsblatt“. Wächst die Wirtschaft kräftig, sinkt der Schuldenstand gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Dagegen hält er es für kontraproduktiv, Ausgaben zu kürzen oder Steuern zu erhöhen. Genau auf Letzteres setzt Scholz als Spd-kanzlerkandidat im bevorstehenden Bundestagswahlkampf bei Gutverdienern.