„Der Umbruch war knallhart“
Die Regierungskommission zieht eine gemischte Bilanz über die deutsche Einheit. Im Mittelpunkt steht aus Sicht von Matthias Platzeck für viele Ostdeutsche die 30-jährige Transformationszeit.
Der Blick der Ostdeutschen hat sich verändert, hat eine Kommission der Bundesregierung herausgefunden, die anderthalb Jahre lang „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“untersucht hat. Sie blickten immer weniger auf die DDR zurück als vielmehr auf die Zeit des Umbruchs, erklärt ihr Leiter, der ehemalige Ministerpräsident des Landes Brandenburg, Matthias Platzeck (SPD).
80 Prozent der Menschen in den nicht mehr so neuen Bundesländern fühlen sich als Ostdeutsche. Die Menschen in den alten Bundesländern würden sich auf Nachfrage vermutlich als Westdeutsche sehen. Matthias Platzeck:
Natürlich ist es erst einmal überhaupt kein Problem, wenn sich die Ostdeutschen mit ihrer Heimatregion verbunden fühlen, mit der eigenen Stadt, mit dem eigenen Landkreis, mit dem eigenen Bundesland – oder auch eben mit Ostdeutschland insgesamt. Nur wo sich Menschen mit der eigenen Region identifizieren, haben sie auch Lust, mit anzupacken. Und das ist ja letztlich die Voraussetzung dafür, dass es in einer Region vorangeht. Und Ihrer Vermutung entsprechen die „Westdeutschen“eben nicht ganz so. Im Osten scheint es doch diesbezüglich eine andere, tiefere Verbundenheit zu geben.
Im Bericht der Kommission steht, erhebliche Teile der Ostdeutschen würden dem „politischen und gesellschaftlichen System der Bundesrepublik verdrossen und entfremdet, ja sogar ablehnend gegenüber“stehen. Warum ist das so?
Gemeint ist damit zwar ein relevanter Teil, aber nicht die Mehrheit. Die meisten blicken positiv zurück auf die letzten 30 Jahre und erkennen dabei ganz genau, was hier in Ostdeutschland unter extrem schwierigen Bedingungen entstanden ist.
Trotzdem. Verstehen Sie die Wut vieler in Ostdeutschland?
Natürlich kann ich das verstehen. Dass die Transformation aufs große Ganze gesehen geglückt ist, bedeutet ja noch lange nicht, dass es bei jedem und jeder Einzelnen so war und ist. Der Umbruch war für die meisten Menschen knallhart und auch heute gibt es noch genügend Fakten, die begründen, warum man sich in Ostdeutschland noch immer strukturell benachteiligt sehen kann.
Und zwar?
Etwa bei Einkommen, Vermögen, Erbschaften, Arbeitszeiten, Personalentscheidungen oder Unternehmenszentralen sind wir im Osten ja tatsächlich noch längst nicht auf Augenhöhe mit dem Westen.
Der Osten fühlt sich abgehängt, nicht genügend beachtet – nimmt er sich vielleicht zu wichtig? Immerhin haben alle ostdeutschen Bundesländer zusammen nicht einmal so viel Einwohner wie Nordrhein-westfalen.
Stimmt. Aber das bedeutet umgekehrt eben auch: Der Osten hat fast so viele Einwohner wie Nordrhein-westfalen. Und kein Mensch käme jemals auf die Idee, Nordrhein-westfalen sei für
Deutschland nicht besonders bedeutsam. Wir wären schon einen großen Schritt weiter, wenn der Osten mit derselben Selbstverständlichkeit für wichtig gehalten würde.
Ein Problem ist die mangelnde Repräsentanz von Ostdeutschen in den Führungsetagen von Politik, Wirtschaft, Medien und Universitäten – auch in Ostdeutschland selbst.
Sie sorgen sich sehr, dass die nationalen Symbole, die Flagge, die Hymne von Rechtsaußen gekapert werden. Was ist dagegen zu tun?
Uns geht es darum, dass die Symbole unserer freiheitlichen und demokratischen Ordnung nicht von Menschen missbraucht und entwertet werden, die Freiheit und Demokratie bekämpfen. Es ist kein guter Zustand, wenn sich Deutschlands Demokraten nicht mehr offen zu Schwarz-rot-gold bekennen, weil sich gerade irgendwelche Demokratiefeinde mit diesen Farben ausstaffieren. Hier müssen wir tatsächlich klar und eindeutig gegenhalten. Und zwar nach dem Kästner’schen Motto „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“Deutschlands Demokraten müssen wieder ganz buchstäblich Flagge zeigen!
Die Deutsch Einheit ist bisher noch nicht hergestellt. Wann kommt sie denn?
Der kluge Soziologe Ralf Dahrendorf hat schon 1990 vorausgesagt, es werde 60 Jahre dauern, bis die sozialen Fundamente echter Einheit gelegt seien. Das wollte in der damaligen Euphorie nur kaum jemand hören. So gesehen ist gerade erst die erste Halbzeit gespielt. Darum ist jetzt die richtige Zeit, um Erfolge und Fehler zu analysieren und, wo nötig, auch den „Spielplan“zu ändern oder anzupassen. Genau dafür hat die Kommission jetzt 50 gute Vorschläge vorgelegt. Wenn wir die in die Tat umsetzen, mache ich mir um die zweite Halbzeit keine Sorgen.