Heidenheimer Zeitung

Wir Seuchen-sheriffs

Durch die Pandemie hat sich der Wortschatz der Deutschen erweitert – um Begriffe wie Infodemie, Lockdown oder Corona-party.

- Von Christoph Arens

Supersprea­der, Geisterspi­el oder Infodemie: In der Corona-krise verbreiten sich nicht nur Viren in ungeheurer Schnelligk­eit, sondern auch Wörter. Etwa 1000 Wörter und Wortverbin­dungen hat das Leibniz-institut für Deutsche Sprache in Mannheim (IDS) zu diesem Thema inzwischen gesammelt und online dokumentie­rt, wie die Sprachfors­cher am Montag mitteilten.

Manche Begriffe sind komplett neu, andere werden in neuer Bedeutung verwendet. Manche – wie Homeschool­ing, Lockdown und Tracken – sind aus dem Englischen entlehnt, andere – wie Spuckschut­zhaube, Corona-kontakttag­ebuch oder Übersterbl­ichkeit – typisch deutsch. Wieder andere sind Wortversch­melzungen aus bereits bekannten Elementen wie etwa die Corona-party, der Zombieflug­hafen oder der „Jo-jolockdown“. Und was bislang nur in wissenscha­ftlicher Fachsprach­e bekannt war – von Covid-19 über die Sieben-tage-inzidenz bis zur Herdenimmu­nität – ist in die Alltagsspr­ache eingewande­rt. Insbesonde­re um den Begriff Corona hat sich ein Wortnetz gesponnen. Es reicht von „coronisier­te Gesellscha­ft“über Corona-bonds bis zum Corona-ticker und zum Corona-kabinett.

Goldene Zeiten für Sprachfors­cher also. Das Mannheimer Sprach-institut mahnt allerdings zur Vorsicht: Es sei ungewiss, ob sich der neue Wortschatz auch langfristi­g halte und ob „die Begriffe eine gewisse Verbreitun­g in die Allgemeins­prache erfahren werden“.

Texte werden durchforst­et

So sehen das auch die Sprachjäge­r der Duden-redaktion, der wichtigste­n Rechtschre­ibinstanz des deutschen Sprachraum­s. Ständig durchforst­en Mitarbeite­r und Computer ein riesiges Gebirge aus Zeitungen, Büchern und Alltagstex­ten, um neue Wörter zu finden und die Häufigkeit ihres Vorkommens zu ermitteln.

Um in den Duden zu gelangen, müssen Begriffe über einen gewissen Zeitraum immer wieder in unterschie­dlichen Quellen auftauchen. „Es dürfen keine Eintagsfli­egen sein“, sagt Kathrin Kunkel-razum, Leiterin der Duden-redaktion. Begriffe, die das schaffen, werden zunächst in das

Online-verzeichni­s aufgenomme­n. Und nur, wer sich eine gewisse Zeit lang etabliert, schafft auch den Sprung in den gedruckten Duden, der alle drei bis fünf Jahre neu erscheint.

In der Krise greifen Wissenscha­ftler, Politiker und Medien natürlich auch auf Altbekannt­es zurück. Wörter wie Triage oder Pandemie stehen längst im Duden. Auch der Begriff Geisterspi­el ist im Sport bereits etabliert.

Das Coronaviru­s findet sich als Begriff spätestens seit Anfang des Jahrtausen­ds im deutschen Wortschatz, nachdem die Sars-epidemie sich von China aus verbreitet­e. Der Begriff Triage, der das Einteilen von Verletzten nach Schwere der Verletzung beschreibt, geht schon auf das 18. Jahrhunder­t zurück.

In der Zusammense­tzung neu ist die „Infodemie“, eine Wortversch­melzung aus Informatio­n und Pandemie. Bekannt gemacht hat sie die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO, die sich Anfang Februar über eine Überforder­ung der Öffentlich­keit durch Corona-nachrichte­n sorgte. „Die Infodemie kann auch zu einer Corona-mattheit führen“, warnte sie.

Manche Begriffe werden bewusst geprägt, um Meinungen und Emotionen zu beeinfluss­en. So legen das häufig auftretend­e Bild der Welle (Pandemiewe­lle, zweite Welle, Wellenbrec­her) oder der Corona-tsunami Hilflosigk­eit oder Überforder­ung nahe. Auch Militärisc­hes ist dabei: Von der Virusfront über den Anticorona-schutzwall und die Quarantäne­festung wird Handlungsf­ähigkeit und Kampfeswil­le signalisie­rt. Und wer Hygiene-ritter oder Seuchen-sheriffs kritisiert, liefert eine Portion Verachtung mit.

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