Normalität noch in weiter Ferne
Viel zu viele Neuinfektionen, viel zu volle Kliniken – der harte Lockdown soll die Virus-verbreitung endlich ausbremsen. Zumindest ein wenig Weihnachten soll aber möglich sein.
Es wird ernst: Von Mittwoch an wird bundesweit das öffentliche Leben heruntergefahren – mit geschlossenen Läden, Schulen und möglichst wenigen Kontakten zu anderen Menschen. Was soll das bringen? Wie lange wird das dauern?
Wie sind die Zahlen? Schlecht. Die von der Politik als entscheidend angesehene Sieben-tage-inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen, lag laut Robert-koch-institut (RKI) am Montag bei 176. Dabei war erst am Sonntag ein Höchststand von 169 registriert worden. Das Ziel von Bund und Ländern lautet 50 – um den Gesundheitsämtern wieder die Kontrolle über die Virus-ausbreitung zu ermöglichen.
Zudem ist wichtig, wie viele Menschen ein Erkrankter ansteckt. Die Reproduktionszahl, kurz R-wert genannt, liegt laut RKI bei 1,12. Das heißt, dass 100 Infizierte rein rechnerisch 112 weitere Menschen anstecken. Laut RKI-VIZE Lars Schaade aber sollte die Zahl „bei 0,7 oder noch niedriger“liegen. An neuen Infektionsfällen gab es am Montag 4030 mehr als vor einer Woche. Insgesamt wurden innerhalb eines Tages 16 362 neue Fälle übermittelt. Ein Höchststand war am Freitag mit 29 875 erreicht worden. Die Zahl der an und mit Corona Gestorbenen stieg um 188 auf 21 975. Wie schnell sich an diesen Zahlen nun etwas grundlegend ändert, muss sich zeigen.
Wie schnell könnte der Lockdown die Lage in den Kliniken verbessern?
Selbst wenn die Maßnahmen schnell Wirkung zeigen sollten: Die Zahl der Neuinfektionen schlägt sich erst mit einer Verzögerung von zwei bis drei Wochen in der Belegung der Intensivstationen nieder. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft geht denn auch weiterhin von um die 5000 Intensivpatienten zum Ende des Monats aus, so Präsident Gerald Gaß. Laut der Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin liegen 4670 Covid-19-patienten auf Intensivstationen, davon müssen 2668 künstlich beatmet werden – ein neuer Höchststand. Vor einer Woche hatte der Wert noch bei 4179 (2513 beatmet) gelegen. Vor einem Monat hatten die Zahlen lediglich 2839 (1534) gelautet. Jeder vierte Corona-patient überlebt die Behandlung in der Intensivstation nicht.
Wie ist das nun eigentlich mit Weihnachten? Ursprünglich hatte die Politik geplant, dass sich zum Fest bis zu zehn Erwachsene aus unbegrenzt vielen Haushalten, zusätzlich noch Kinder unter 14 Jahren, treffen und gemeinsam feiern können sollten. Das ist vom Tisch. Nun gilt, dass vom 24. Dezember bis zum 26. Dezember „Treffen mit vier über den eigenen Hausstand hinausgehenden Personen zuzüglich Kindern im Alter bis 14 Jahre aus dem engsten Familienkreis“möglich sind, auch wenn das mehr als fünf Personen bedeute. Allerdings steht das unter dem Vorbehalt der „Abhängigkeit vom jeweiligen Infektionsgeschehen“in den Ländern.
Spd-gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, Arzt und Epidemiologe, hätte lieber Weihnachten auf fünf Personen plus Kinder begrenzt gesehen. Und Jörg Timm, Chefvirologe der Uni Düsseldorf, ruft dringend dazu auf, zum Fest auf Familienbesuche weitgehend zu verzichten. Sonst sei „mit einer drastischen Zunahme der Covid-19-fälle im neuen Jahr zu rechnen“.
Warum müssen Schulen und Kitas
nun doch wieder schließen? Weil etwa das RKI vermehrt Corona-ausbrüche in Schulen und Kitas vermerkt. Auch ein Massentest aus Österreich hat ergeben, dass Schüler genauso häufig infiziert werden wie Lehrer. Der Unterschied ist nur, dass sie selten Symptome haben und unbemerkt das Virus verbreiten. Deshalb haben Bund und Länder beschlossen, an den Schulen und in den Kitas bis zum 10. Januar die Kontakte deutlich einzuschränken. Kinder sollten „wann immer möglich zu Hause betreut werden“. Je nach Land werden Schulen ganz geschlossen oder die Präsenzpflicht wird ausgesetzt. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) verspricht, dass Schulen und Kitas bei Wirksamkeit des Lockdowns als Erstes wieder geöffnet werden. Es gelte: „Das ist das Letzte, was wir schließen und das Erste, was wir öffnen.“
Welche Hilfe können Eltern erwarten, die zur Kinderbetreuung nun Urlaub nehmen müssen? Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat einen „finanziellen Ausgleich“versprochen. Details erarbeitet das Bundesarbeitsministerium unter extremem Zeitdruck. Denn der Bundestag soll dies noch diese Woche beschließen. Genaueres ist noch nicht bekannt. Der Arbeitgeberverband BDA geht davon aus, dass der „bezahlte Sonderurlaub“keine neue Belastung für die Betriebe bedeutet. Unter dieser Bedingung sei der Plan „richtig und angemessen“, so eine Sprecherin.
Was passiert nach dem 10. Januar?
Das lässt sich schwer abschätzen. So lange nicht weite Teile der Bevölkerung geimpft sind, bleibt die Lage kritisch. Und die Zahl der Neuinfektionen muss genau beobachtet werden. Helge Braun macht wenig Hoffnung auf weitreichende Lockerungen zu Jahresbeginn. Auch Karl Lauterbach zeigt sich „sehr skeptisch“, dass der erhoffte Effekt bis zum 10. Januar eintritt. „Wenn nicht, müssen die Maßnahmen verlängert werden.“Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), Chef der Ministerpräsidentenkonferenz, warnt davor, ein rasches Ende zu erwarten. Der 10. Januar werde „kein Schlusspunkt“sein. Lockerungen seien nur schrittweise denkbar. „Corona wird uns noch lange beschäftigen.“