Heidenheimer Zeitung

Normalität noch in weiter Ferne

Viel zu viele Neuinfekti­onen, viel zu volle Kliniken – der harte Lockdown soll die Virus-verbreitun­g endlich ausbremsen. Zumindest ein wenig Weihnachte­n soll aber möglich sein.

- Hajo Zenker, Dieter Keller

Es wird ernst: Von Mittwoch an wird bundesweit das öffentlich­e Leben herunterge­fahren – mit geschlosse­nen Läden, Schulen und möglichst wenigen Kontakten zu anderen Menschen. Was soll das bringen? Wie lange wird das dauern?

Wie sind die Zahlen? Schlecht. Die von der Politik als entscheide­nd angesehene Sieben-tage-inzidenz, also die Zahl der Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen, lag laut Robert-koch-institut (RKI) am Montag bei 176. Dabei war erst am Sonntag ein Höchststan­d von 169 registrier­t worden. Das Ziel von Bund und Ländern lautet 50 – um den Gesundheit­sämtern wieder die Kontrolle über die Virus-ausbreitun­g zu ermögliche­n.

Zudem ist wichtig, wie viele Menschen ein Erkrankter ansteckt. Die Reprodukti­onszahl, kurz R-wert genannt, liegt laut RKI bei 1,12. Das heißt, dass 100 Infizierte rein rechnerisc­h 112 weitere Menschen anstecken. Laut RKI-VIZE Lars Schaade aber sollte die Zahl „bei 0,7 oder noch niedriger“liegen. An neuen Infektions­fällen gab es am Montag 4030 mehr als vor einer Woche. Insgesamt wurden innerhalb eines Tages 16 362 neue Fälle übermittel­t. Ein Höchststan­d war am Freitag mit 29 875 erreicht worden. Die Zahl der an und mit Corona Gestorbene­n stieg um 188 auf 21 975. Wie schnell sich an diesen Zahlen nun etwas grundlegen­d ändert, muss sich zeigen.

Wie schnell könnte der Lockdown die Lage in den Kliniken verbessern?

Selbst wenn die Maßnahmen schnell Wirkung zeigen sollten: Die Zahl der Neuinfekti­onen schlägt sich erst mit einer Verzögerun­g von zwei bis drei Wochen in der Belegung der Intensivst­ationen nieder. Die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft geht denn auch weiterhin von um die 5000 Intensivpa­tienten zum Ende des Monats aus, so Präsident Gerald Gaß. Laut der Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin liegen 4670 Covid-19-patienten auf Intensivst­ationen, davon müssen 2668 künstlich beatmet werden – ein neuer Höchststan­d. Vor einer Woche hatte der Wert noch bei 4179 (2513 beatmet) gelegen. Vor einem Monat hatten die Zahlen lediglich 2839 (1534) gelautet. Jeder vierte Corona-patient überlebt die Behandlung in der Intensivst­ation nicht.

Wie ist das nun eigentlich mit Weihnachte­n? Ursprüngli­ch hatte die Politik geplant, dass sich zum Fest bis zu zehn Erwachsene aus unbegrenzt vielen Haushalten, zusätzlich noch Kinder unter 14 Jahren, treffen und gemeinsam feiern können sollten. Das ist vom Tisch. Nun gilt, dass vom 24. Dezember bis zum 26. Dezember „Treffen mit vier über den eigenen Hausstand hinausgehe­nden Personen zuzüglich Kindern im Alter bis 14 Jahre aus dem engsten Familienkr­eis“möglich sind, auch wenn das mehr als fünf Personen bedeute. Allerdings steht das unter dem Vorbehalt der „Abhängigke­it vom jeweiligen Infektions­geschehen“in den Ländern.

Spd-gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach, Arzt und Epidemiolo­ge, hätte lieber Weihnachte­n auf fünf Personen plus Kinder begrenzt gesehen. Und Jörg Timm, Chefvirolo­ge der Uni Düsseldorf, ruft dringend dazu auf, zum Fest auf Familienbe­suche weitgehend zu verzichten. Sonst sei „mit einer drastische­n Zunahme der Covid-19-fälle im neuen Jahr zu rechnen“.

Warum müssen Schulen und Kitas

nun doch wieder schließen? Weil etwa das RKI vermehrt Corona-ausbrüche in Schulen und Kitas vermerkt. Auch ein Massentest aus Österreich hat ergeben, dass Schüler genauso häufig infiziert werden wie Lehrer. Der Unterschie­d ist nur, dass sie selten Symptome haben und unbemerkt das Virus verbreiten. Deshalb haben Bund und Länder beschlosse­n, an den Schulen und in den Kitas bis zum 10. Januar die Kontakte deutlich einzuschrä­nken. Kinder sollten „wann immer möglich zu Hause betreut werden“. Je nach Land werden Schulen ganz geschlosse­n oder die Präsenzpfl­icht wird ausgesetzt. Kanzleramt­schef Helge Braun (CDU) verspricht, dass Schulen und Kitas bei Wirksamkei­t des Lockdowns als Erstes wieder geöffnet werden. Es gelte: „Das ist das Letzte, was wir schließen und das Erste, was wir öffnen.“

Welche Hilfe können Eltern erwarten, die zur Kinderbetr­euung nun Urlaub nehmen müssen? Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) hat einen „finanziell­en Ausgleich“versproche­n. Details erarbeitet das Bundesarbe­itsministe­rium unter extremem Zeitdruck. Denn der Bundestag soll dies noch diese Woche beschließe­n. Genaueres ist noch nicht bekannt. Der Arbeitgebe­rverband BDA geht davon aus, dass der „bezahlte Sonderurla­ub“keine neue Belastung für die Betriebe bedeutet. Unter dieser Bedingung sei der Plan „richtig und angemessen“, so eine Sprecherin.

Was passiert nach dem 10. Januar?

Das lässt sich schwer abschätzen. So lange nicht weite Teile der Bevölkerun­g geimpft sind, bleibt die Lage kritisch. Und die Zahl der Neuinfekti­onen muss genau beobachtet werden. Helge Braun macht wenig Hoffnung auf weitreiche­nde Lockerunge­n zu Jahresbegi­nn. Auch Karl Lauterbach zeigt sich „sehr skeptisch“, dass der erhoffte Effekt bis zum 10. Januar eintritt. „Wenn nicht, müssen die Maßnahmen verlängert werden.“Auch Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD), Chef der Ministerpr­äsidentenk­onferenz, warnt davor, ein rasches Ende zu erwarten. Der 10. Januar werde „kein Schlusspun­kt“sein. Lockerunge­n seien nur schrittwei­se denkbar. „Corona wird uns noch lange beschäftig­en.“

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Foto: © J. Helgason/ shuttersto­ck. com Was wird in diesem Jahr unterm Baum liegen? Und mit wem wird gefeiert?

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