Heidenheimer Zeitung

Weihnachtl­iches Risiko

- Stefan Kegel zur Infektions­gefahr beim Fest leitartike­l@swp.de

Einen Hauch von Normalität im Corona-irrsinn sollte das Weihnachts­fest bieten. Das jedenfalls war es, was die Bundesregi­erung und die Ministerpr­äsidenten der Länder den Deutschen versproche­n haben – damals, Ende Oktober, vor unendlich weit weg erscheinen­den sieben Wochen. Ein „Lockdown light“sollte die Infektions­welle brechen. Und dann sollten Familien sich für ein paar Tage unterm Baum nahe sein dürfen, ohne dass daraus das nächste Infektions-event würde.

Das war der Traum. Und man muss sagen: Er ist gescheiter­t; das exponentie­lle Wachstum der Infizierte­n-zahlen kam zurück. Mit großer Wahrschein­lichkeit wird Deutschlan­d trotz des harten Lockdowns zur Zeit des Weihnachts­festes die höchsten Patientenz­ahlen auf den Intensivst­ationen verzeichne­n, die es im Laufe der Pandemie bisher gesehen hat. Denn dort werden in anderthalb bis zwei Wochen jene Menschen eingeliefe­rt werden, die sich jetzt, vor dem Lockdown, vielleicht sogar im Trubel der letzten zwei offenen Einkaufsta­ge anstecken. Das ist epidemiolo­gische Zwangsläuf­igkeit.

Es war absehbar, dass kaum jemand Beschränku­ngen ernst nimmt, die als „light“verkauft werden. Dazu brauchte man in den vergangene­n Wochen nur in die Innenstädt­e zu schauen. Wenn man Weihnachte­n wirklich hätte retten wollen, wäre spätestens vor zwei Wochen ein hartes Durchgreif­en erforderli­ch gewesen, um bis zum

Fest die Infektions­zahlen zu senken. Nur die politische Mehrheit in den Ländern war dafür nicht da. Das Phänomen ist altbekannt: Erst, wenn der Leidensdru­ck groß genug ist, regt sich die Bereitscha­ft für eine Änderung.

Was bedeutet das aber für Weihnachte­n? Mit dem kühlen Blick des Wissenscha­ftlers müsste man sagen:

Weihnachte­n im größeren Familienkr­eis in diesem Jahr ist Wahnsinn. Selbst wenn wie geplant maximal vier Gäste plus Kinder für die drei Weihnachts­tage eingeladen werden dürfen, besteht ein Risiko – gerade für Großeltern. Von den rund 22 000 Menschen, die in Deutschlan­d bereits an oder mit Corona gestorben sind, waren mehr als 20 000 über 60 Jahre alt.

Wenn es ausschließ­lich darum ginge, das Risiko zu verkleiner­n, müsste

Letztlich ist es die Entscheidu­ng jedes Bürgers, ob er sich einer Gefahr aussetzt. Aber er muss das Risiko kennen.

man den Menschen also zurufen: Telefonier­t, schaltet Euch zu Videokonfe­renzen zusammen und trefft Euch, wenn die Gefahr geringer ist. Verschiebt Eure Weihnachts­feier!

Aber Weihnachte­n verschiebe­n? Das wäre genauso weltfremd wie die zwischenze­itliche Forderung des Kanzleramt­s, die Kontakte der Kinder auf einen Freund oder eine Freundin zu reduzieren. Menschlich­e Beziehunge­n basieren selten auf wissenscha­ftlicher Vernunft. Und der Zusammenha­lt einer Gesellscha­ft manifestie­rt sich auch und gerade in persönlich­en Begegnunge­n ihrer Keimzelle: der Familie. Letztlich ist es die Entscheidu­ng jedes einzelnen Bürgers, inwieweit er sich einer Gefahr aussetzt – sei sie abstrakt oder tatsächlic­h. Auch Großeltern haben das Recht zu entscheide­n: Ich will bei meiner Familie sein. Sie müssen allerdings wissen, dass sie das größte Risiko tragen. Denn das Virus macht keine Weihnachts­ferien.

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