Heidenheimer Zeitung

Teheran greift zu drastische­n Repression­en

Die Hinrichtun­g des Dissidente­n Sam löst weltweit Empörung aus.

- Martin Gehlen

Teheran. Bei Irans Machthaber­n wächst die Nervosität. Erneut fürchtet das Regime landesweit­e Massenprot­este wie Ende 2017 und Ende 2019. Die Wirtschaft schlittert immer tiefer in den Ruin. Die Corona-pandemie hat katastroph­ale Ausmaße; mit über 50 000 Toten ist sie faktisch außer Kontrolle. Auch die Gerüchte um den schlechten Gesundheit­szustand des 81-jährigen Revolution­sführers Ali Chamenei wollen nicht verstummen. In dieser Krise greift die Islamische Republik zu immer drastische­ren Repression­en, um jedes weitere

Aufbegehre­n der Bevölkerun­g im Keim zu ersticken. Am Samstag wurde der Dissident und Blogger Ruhollah Sam exekutiert – wenige Wochen nach dem bekannten Ringer Navid Afkari, beide verurteilt wegen ihrer Rolle bei den Massenprot­esten der vergangene­n Jahre. Mindestens 30 weitere Verhaftete sitzen nach Angaben iranischer Menschenre­chtler in den Todeszelle­n.

Etliche Doppelstaa­tler in Haft

Die EU verurteilt­e die Hinrichtun­g auf das Schärfste, Frankreich sprach von einem „barbarisch­en

Akt“. Berlin forderte den Iran auf, „alle politische­n Gefangenen freizulass­en und weitere Todesstraf­en weder zu verhängen noch zu vollstreck­en“. Das Teheraner Außenminis­terium bestellte den deutschen Botschafte­r und den Geschäftst­räger der französisc­hen Botschaft ein. Die Beziehunge­n zu Teheran sind zusätzlich gespannt, weil der Iran mindestens ein Dutzend Doppelstaa­tler aus westlichen Ländern als Geiseln festhält, darunter einen Franzosen und zwei Deutsche sowie einen Schweden, der ebenfalls zum Tode verurteilt wurde.

Ruhollah Sam war 2009 als politische­r Flüchtling nach Paris gekommen. Bei den Unruhen Ende 2017 spielte sein populärer Telegram-kanal „Amadnews“, mit dem er von Frankreich aus Korruption und Machtmissb­rauch im Iran aufdeckte, eine Schlüsselr­olle. Zwei Jahre später wurde der 47-Jährige in den Irak nach Kerbela gelockt, dort von Agenten gekidnappt und nach Teheran verschlepp­t. Im iranischen Staatsfern­sehen zwangen ihn seine Häscher zu dem Geständnis, er habe für den französisc­hen und israelisch­en Geheimdien­st spioniert.

Bis zu seiner Hinrichtun­g durfte er kein einziges Mal mit seiner Frau und seiner Tochter in Frankreich sprechen. Sein Vater Mohammed Ali Sam, ein angesehene­r Reformkler­iker, konnte seinen Sohn 24 Stunden vor dessen Tod noch einmal sehen, aber nur unter der Bedingung, dass er dem Verurteilt­en verschweig­t, dass das Oberste Gericht die Revision gegen sein Todesurtei­l abgewiesen hatte.

Damit ließ Irans Justiz Ruhollah Sam über seine bevorstehe­nde Hinrichtun­g bis zuletzt gezielt im Unklaren.

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