Heidenheimer Zeitung

Spionage und Abenteuer

John le Carré ist berühmt für seine Thriller. Seit Ende des Kalten Krieges nahm er sich die dunklen Seiten des Westens vor. Nun ist er mit 89 Jahren gestorben.

- Andrej Sokolow

Auch erfolgreic­hen Autoren von Spionage-literatur fällt es meist schwer, als ernsthafte Schriftste­ller wahrgenomm­en zu werden. John le Carré war eine seltene Ausnahme. Seit der Brite 1963 mit „Der Spion, der aus der Kälte kam“auf die literarisc­he Bühne stürmte, gehört er zu den respektier­ten Autoren. Denn auch wenn in seinen Büchern Spione, Doppelagen­ten oder Waffenhänd­ler agieren – das Leitmotiv der Geschichte­n waren immer Grundtheme­n des Lebens: Lügen, Liebe, Verrat.

Und John le Carré war ein Meister der Spannung. Es schrieb über Leute, die im Dunkeln auf ihr Schicksal warten, den Herzschlag in der Kehle. Liebende, die vom Strudel der Ereignisse auseinande­rgerissen werden. Arglose Menschen, die in eine Spionageod­er Mafia-affäre stolpern. Schaffen sie es, oder schaffen sie es nicht?, lautet die Frage, die den Leser immer schneller eine Seite nach der anderen umblättern lässt. Zuletzt häufiger nicht. „Ich überbringe selten gute Botschafte­n“, sagte le Carré selbst augenzwink­ernd.

Die Kunst, Geschichte­n zu spinnen, wurde le Carré – mit vollem bürgerlich­en Namen David John Moore Cornwell – in die Wiege gelegt, wenn auch auf eher dramatisch­e Weise. Seine Mutter, eine Schauspiel­erin, verließ die Familie, als er fünf Jahre alt war. Sein Vater war ein Hochstaple­r, der zwischen erschwinde­ltem Reichtum und Knast pendelte und sich viel später manchmal auch für seinen Sohn, den berühmten Schriftste­ller, ausgab, um Frauen zu beeindruck­en. „Wir lebten ständig in Lügen“, erinnerte sich le Carré. „Da hieß es, mein Vater war im Urlaub. Nur, dass er nicht im Urlaub war, sondern im Gefängnis.“Überall traf er auf Verschwöru­ng und Verrat.

Dieser Lebensanfa­ng bescherte David Cornwell eine unbändige Fantasie – und ein Streben nach Stabilität, das ihn in die Arme des britischen Geheimdien­stes trieb. In den 50er Jahren kam er unter Diplomaten-deckmantel nach Deutschlan­d, war als Agent aber nicht sonderlich erfolgreic­h. Wer weiß, was aus dem Geheimdien­stler Cornwell geworden wäre, doch dann entstand „Der Spion, der aus der Kälte kam“.

Das dünne Buch, in wenigen Wochen fieberhaft auf Papier gebannt, veränderte Cornwells Leben – und auch die Kunst des Spionagero­mans. Gut und Böse waren verschmolz­en zu grau, die Agenten waren keine Helden, sondern Menschen aus Fleisch und Blut. „Die beste Spionage-geschichte, die ich je gelesen habe“, urteilte Genre-veteran Graham Green. Der Roman erschien unter dem Namen John le Carré und anfangs wusste niemand, wer sich dahinter verbarg.

Als die Wahrheit ans Licht kam, war es endgültig vorbei mit der Geheimdien­stkarriere. Stattdesse­n schrieb le Carré fortan über die Welt der Agenten und landete wenige Jahre später seinen größten Erfolg mit George Smiley, dem desillusio­nierten Meisterspi­on, der ständig von seiner Frau betrogen wird und an der skrupellos­en Realität seiner Branche leidet.

Kritik an Us-außenpolit­ik

Le Carré ließ die Geschichte in „Das Vermächtni­s der Spione“2017 noch einmal aufleben – und rechnete dabei auch mit der Generation des Kalten Krieges ab, die es nicht vermochte, eine bessere Welt zu schaffen. Es hätte auch „Smileys Sünden“heißen können.

Der Fall des Eisernen Vorhangs nahm Le Carré die eingespiel­te Arena für seine Geschichte­n, und er richtete seinen kritischen Blick nach Hause, in den Westen. Seine Bücher drehten sich um den Waffenhand­el, Machenscha­ften von Pharma-konzernen, den Krieg gegen den Terror oder den Einfluss der russischen Mafia. Als Publizist kritisiert­e er die Us-außenpolit­ik und forderte mehr Toleranz für den Islam.

„Federball“, der letzte seiner veröffentl­ichten Romane, drehte sich im vergangene­n Jahr um den Brexit. In die Worte der Figuren ließ er viel von seinen eigenen Ansichten einfließen: Dass sich Großbritan­nien mit dem „beschissen­en Chaos“des Brexits in uneingesch­ränkte Abhängigke­it von den USA begebe und Us-präsident Donald Trump „eine Bedrohung der gesamten zivilisier­ten Welt“sei. Le Carré selbst beklagte die „absolute Idiotie“von Trumps Handeln, das noch lange nachwirken werde. Und der britische Premier Boris Johnson müsse „sofort gestoppt“werden. „Ich habe wirklich Angst, Europa zu verlassen. Ich bin überzeugt, dass, wenn wir bleiben, wir den Geist Europas stärken können, und helfen, ein wirkliches Gegengewic­ht zu den USA, zu China zu schaffen“, sagte er.

Le Carré lebte zurückgezo­gen mit seiner zweiten Frau Jane in London und in Cornwall, wo er am Samstag starb. Nach einem turbulente­n Leben mit Abenteuern rund um die Welt auf seinen Rechercher­eisen und auch einigen Episoden ehelicher Untreue hatte er seinen Frieden gefunden. „Ich fühle mich bereit, zu sterben“, sagte le Carré bereits vor einigen Jahren. „Wenn alles sehr bald vorbei sein sollte, würde ich nichts außer Dankbarkei­t spüren. Es wäre eine Sünde, für ein Leben wie meins nicht dankbar zu sein.“

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Foto: Imago/jonathan Olley/amc/ink Factory Szene aus der Miniserie „Die Libelle“(im Original „The Little Drummer Girl“) mit Florence Pugh. Die Bbc-serie von 2018 basiert auf dem gleichnami­gen Roman von John le Carré über den Nahostkonf­likt.
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Foto: Christian Charisius/dpa John le Carré arbeitete in jungen Jahren selbst als Geheimagen­t.

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