Hinter jedem virtuellen Türchen ein Ständchen
Statt Weihnachtskonzerten sorgt in diesem Jahr ein digitaler Adventskalender für musikalische Unterhaltung. Die Videos wurden teilweise bereits über tausend Mal aufgerufen. Ein Besuch bei den Dreharbeiten.
Statt Weihnachtskonzerten setzt die Musikschule Gerstetten auf einen digitalen Adventskalender. Auf Youtube gibt es dafür Tausende Klicks.
Eins, zwei, drei, vier – Carolina Hernández gibt den Takt vor, ihre drei Schülerinnen folgen. Mit ihren Querflöten stimmen sie „Wir wünschen dir frohe Weihnacht“an. Gute zwei Minuten dauert das Stück. Hernández hat einige Anmerkungen: Hier auf die Atmung achten, dort etwas lauter spielen, da stimmt die Fingerhaltung noch nicht ganz. Unter den wachsamen Augen der Musikschullehrerin der Musikschule Gerstetten beginnen die drei Querflötistinnen noch einmal von vorn. Nur: Hernández ist nicht die einzige Beobachterin. Auch eine Kamera und ein Mikrofon lauschen dem Auftritt. Die
Probe ist nämlich gar keine solche, sondern eine Aufnahme für den digitalen Adventskalender der Gerstetter Musikschule, den diese seit Beginn der Adventszeit auf ihrem Youtube-kanal präsentiert. Viele der Clips wurden dort mehrere Hundert Mal aufgerufen, das erste „Türchen“sogar über tausend Mal – ein Erfolg. Dabei wurde das Projekt aus der Not geboren.
„Bis Ende Oktober haben wir noch mitten in den Vorbereitungen für Veranstaltungen in der Adventszeit gesteckt“, erzählt Musikschulleiter Thomas Neumann. Ursprünglich war ein abgespecktes Weihnachtskonzert in der katholischen Kirche in Gerstetten angedacht. Vergelt’s Corona wurde daraus jedoch nichts. Schnell kam die Idee auf, die fleißig geprobten Stücke der Schüler digital aufzuführen.
Totale, Nahaufnahme, Totale
Das hinter den ein- bis vierminütigen Videos ein ganzes Stück Arbeit steckt, bemerkte Neumann schnell. In der Regel brauche er für den Schnitt eines Videos rund drei Stunden. Das sei vor allem durch den hohen Anspruch bedingt, den Neumann an das Projekt stelle. „Ich wollte nicht nur ein simples Handyvideo aus den Unterrichtsräumen zeigen. Es sollte auch Abwechslung im Bild geben“, so Neumann.
Rund 50 Minuten dauern die Dreharbeiten pro Clip. Drehorte sind neben der Musikschule selbst auch die Nikolauskirche sowie der Stucksaal im Bahnhotel. Erst wird die Totale gefilmt, dann mehrere Nahaufnahmen, dann oftmals noch eine Totale von hinten. Natürlich muss nicht jede Aufnahme perfekt klingen – eine einzige reicht für das Endergebnis.
Zwar leiten die Musikschullehrer ihre Schüler während der Aufnahme an und spielen gelegentlich sogar selbst mit, Dreh, Schnitt und alles weitere Technische übernimmt Thomas Neumann hingegen selbst. Als Musikschulleiter ist er als Einziger jeden Tag in der Schule; die Kollegen sind nur tageweise vor Ort.
Als Technikgenie würde Neumann sich selbst dennoch kaum bezeichnen: „Youtube war auch für mich Neuland.“Doch durch Corona war es auf einmal nötig, sich das notwendige Wissen anzueignen. Gefilmt wird auf einem Smartphone, ein Audiorekorder stand der Musikschule bereits zur Verfügung.
Hoffnung auf mehr Zuschauer
Klingt alles nach viel mühseliger Arbeit. Oder? „Mir macht es auch Spaß“, sagt Neumann und lächelt. „Ein Video kann man letztlich auch besser kontrollieren als ein Konzert.“Und wer weiß, vielleicht bleibt der Musikschule dieses Konzept sogar erhalten. Bislang haben sich mehr als 8000 Zuschauer die einzelnen Videoclips angesehen. Weit mehr Menschen, als zu den Konzerten erscheinen. Wie stimmt diese Erkenntnis einen Musikschulleiter? Erstaunt? Frustriert? Nachdenklich, findet Thomas Neumann.
„Ein Klick ist oft bequemer, als sich ein Konzertticket zu holen, das stimmt schon. Aber vielleicht lockt man mit den Videos nicht nur die Verwandten der Musikschüler, sondern auch andere Menschen“, sinniert Neumann. Und eine leise Hoffnung hat der Musikschulleiter: mehr Publikum in der Zukunft durch mehr Internetpräsenz im Hier und Jetzt.
Ich wollte nicht nur ein simples Handyvideo aus den Unterrichtsräumen zeigen.
Thomas Neumann