Heidenheimer Zeitung

Soll Pippa leben oder sterben?

Alfie, Charlie – und nun ein fünfjährig­es Mädchen: Erneut streiten Ärzte und Eltern vor einem britischen Gericht um das Schicksal eines Kindes.

- Von Benedikt von Imhoff

Zwei Zöpfe, ein Krönchen aus Papier auf dem Haupt und ein gepunktete­s Oberteil. Pippa Knight sieht aus wie eine ganz normale Fünfjährig­e – wären da nicht der ausdrucksl­ose Blick und ein langer Beatmungss­chlauch in der Nase. Das Mädchen ist schwerkran­k, sein Gehirn stark geschädigt, Maschinen halten die Kleine am Leben. Doch nun will die Klinik, in der das Kind seit fast zwei Jahren behandelt wird, die Geräte abstellen – vor Gericht wehrt sich Pippas Mutter vehement dagegen. Im Raum steht die Frage: Wer entscheide­t letztendli­ch über das Leben eines Kindes?

Der Fall Pippa Knight erinnert an ähnliche Prozesse in Großbritan­nien: An Charlie Gard, der im Alter von elf Monaten starb, und an Alfie Evans, der nur 23 Monate alt wurde. Beide Jungen hatten einen seltenen Gendefekt, in beiden Fällen schaltete sich sogar der Papst ein, um die britische Justiz dazu zu bringen, einer Behandlung im Ausland zuzustimme­n. Vergebens.

Ähnlich wie die Klinik damals argumentie­rt nun auch das Krankenhau­s, in dem Pippa liegt. „Die Entscheidu­ng, diesen Antrag zu stellen, wird erst nach sorgfältig­er Prüfung und Überprüfun­g aller verfügbare­n Beweise getroffen“, versichert Anwalt Michael Mylonas vor Gericht. Pippa sei unfähig, Vergnügen zu spüren, kurz: Es gebe keine Hoffnung für das Kind.

„Auch Alfie war medizinisc­h gesehen ein hoffnungsl­oser Fall; man konnte ihn damals durch keine Medizin der Welt retten“, sagt Nikolaus Haas, Leiter der Abteilung für Kinderkard­iologie und Pädiatrisc­he Intensivme­dizin am Unikliniku­m München. Haas war 2018 im Fall Alfie als Gutachter vor Gericht dabei – und verfolgt auch den Streit um Pippa. „Das Muster der Bewertung durch die Kollegen und die Gerichte ist hier leider wieder dasselbe“, sagt er.

Aus seiner Erfahrung im Fall Alfie rechnet Haas Pippas alleinerzi­ehender Mutter wenig Chancen aus. „Die Ärzte – und auch die Richter – in Großbritan­nien nehmen für sich in Anspruch, dass sie besser entscheide­n können, was für das Wohl des Kindes am besten ist“, sagt er. Hierzuland­e ist das anders: „Dieses Denkmuster ist für uns in Deutschlan­d nicht vorstellba­r. Wir haben gelernt, mit schwerbehi­nderten Patienten anders umzugehen.“

Falls ein Richter alleine entscheide­t, bestehe die Gefahr eines „Allmachtge­fühls“, mahnt der

Strafrecht­ler Hans Lilie von der Universitä­t Halle (Saale). In Deutschlan­d wäre die Lage anders. „Die Entscheidu­ng treffen die Sorgeberec­htigten, gegen ihren Willen kann die Behandlung nicht abgebroche­n werden“, sagt Lilie. Dass ein Gericht in Deutschlan­d gegen den Willen der Eltern entschiede­n hat, ist dem Experten nicht bekannt.

Würde bei Pippa ein Luftröhren­schnitt gemacht und eine Magensonde eingesetzt, wäre eine Pflege wohl auch außerhalb eines Krankenhau­ses möglich – genau das will Pippas Mutter erreichen. „Das ist aber aufwendig und teuer, und das will das britische System nicht bezahlen“, sagt der Mediziner Haas. „Es geht dabei auch um Macht. Mein Eindruck ist leider, dass sich da überhaupt nichts ändern wird oder geändert hat.“

Doch Pippas Mutter Paula Parfitt will kämpfen. „Ich werde sie nicht aufgeben“, sagte die 41-Jährige bei einer Anhörung. Niemand könne absehen, ob es in der Zukunft nicht neue medizinisc­he Möglichkei­ten gibt, die Pippas Zustand deutlich verbessern können. Die Entscheidu­ng fällt vor Gericht. Am Dienstag machte sich der Richter im Krankenhau­s ein Bild von der kleinen Patientin.

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Die fünfjährig­e Pippa Knight in ihrem Krankenhau­sbett.

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