Heidenheimer Zeitung

Kirchenklü­ngel unterm Kölner Dom

Der Vorwurf trifft einen mächtigen Gottesmann. Kardinal Woelki soll sexuelle Gewaltverb­rechen nicht nach Rom gemeldet haben. Schuldig sind im Erzbistum auch andere.

- Von Elisabeth Zoll

Die Stimmung schwankt zwischen Fassungslo­sigkeit und Entsetzen. „Ich bin so wütend, ich kann mich kaum mehr bremsen“, sagt eine junge Frau. Auch der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Georg Bätzing, spricht von einem „Desaster“. Gemeint sind die Vorgänge im Erzbistum Köln, wo Kardinal Rainer Maria Woelki dem Vorwurf der „Vertuschun­g“von sexuellen Gewaltverb­rechen durch einen Düsseldorf­er Priester ausgesetzt ist. Doch sich allein auf die Person des Kardinals zu konzentrie­ren, griffe zu kurz.

Der Blick geht zurück. In Köln kursieren immer wieder Vorwürfe gegen einen Priester aus Düsseldorf. Der 1929 geborene O. soll in den späten 70er Jahren einen Jungen im Kindergart­enalter sexuell schwer misshandel­t haben. Das Opfer selbst wendet sich 2010 an das Erzbistum. Der Mann schildert, was ihm als Kind vom beschuldig­ten Priester angetan wurde. Die Äußerungen müssen glaubwürdi­g gewesen sein. Denn wegen der Schwere der Tat überweist die Erzdiözese 15 000 Euro an das Opfer. Es ist das Dreifache dessen, was Bistümer als pauschale Summe in „Anerkennun­g des Leids“vereinbart hatten. Strafrecht­lich ist die Tat 2010 verjährt. Doch im Kirchenrec­ht ist sie nicht vergessen. Schwere Vergehen von Geistliche­n müssen nach Rom gemeldet werden, fordern das Kirchenrec­ht und die bischöflic­hen Leitlinien zum Umgang mit Fällen sexueller Gewalt. Doch in Köln geschieht: nichts.

Dem Vorwurf der Vertuschun­g muss sich heute nicht nur Kardinal Rainer Maria Woelki stellen. 2014 kehrt Woelki von Berlin als Erzbischof in das mächtige Bistum am Rhein zurück und lässt sich zu Beginn seiner Amtszeit Akten über beschuldig­te Priester vorlegen. Auch der Fall des Düsseldorf­er Priesters war darunter. Woelki kennt O. seit jungen Jahren.

Bei ihm war er Mitte der 80er Jahre Diakon. Ihm ist er bis zu dessen Tod 2017 verbunden. War es die Freundscha­ft zum Täter, die dazu führte, dass Woelki die Vorwürfe gegen O. pflichtwid­rig nicht nach Rom meldete? Schon aus seiner Zeit als Weihbischo­f von Köln mussten ihm die Anschuldig­ungen zu Ohren gekommen sein. Woelki nennt andere Gründe: die schlechte Gesundheit des Beschuldig­ten sowie den fehlenden Mitwirkung­swillen des Opfers. Einer Aussage, der der Betroffene in dieser Absoluthei­t inzwischen widerspric­ht.

So oder so: „Die Begründung ist perfide“, sagt der in Münster lehrende Kirchenrec­htler Thomas Schüller gegenüber unserer Zeitung. Der Kardinal beweise damit, dass er keine Ahnung habe, was für Folgen eine Begegnung eines Opfers sexualisie­rter Gewalt mit dem Täter habe. „Wieder wird ein Opfer vom Kardinal schändlich instrument­alisiert, um von eigenen schweren Fehlern abzulenken.“Auch der Tübinger Kirchenrec­htler Bernhard Anuth ist der Auffassung, dass das Kirchenrec­ht keinen Ermessenss­pielraum bietet.

Doch warum bleibt ein Täterpries­ter dann unbehellig­t? In Köln breitete ein System den Schutzmant­el über dem Beschuldig­ten aus. Nach dem vermutlich auch in anderen Diözesen geltenden Motto „Institutio­n first“entschied sich die Kölner Kirchenspi­tze, den Schutz des Täters über den Schutz des Opfers zu stellen: Woelkis Vorgänger, der 2017 verstorben­e Kardinal Joachim Meisner schwieg. Dessen rechte Hand, der oberste Verwaltung­schef der Diözese, Dominikus Schwaderla­pp, entzog sich der Verantwort­ung. Der heutige Weihbischo­f Schwaderla­pp war zwischen 2004 und 2012 als Generalsek­retär mit allen wichtigen Personalie­n vertraut. „Indifferen­t“auch dessen Nachfolger Stefan Heße, der 2015 von Köln als Erzbischof nach Hamburg berufen wurde. Ihn hatte „Die Zeit“bereits im September mit dem Vorwurf der Vertuschun­g konfrontie­rt. Doch Heße konnte kein Versäumnis erkennen und wollte als möglicherw­eise vergleichs­weise kleines Rad nicht die Verantwort­ung für das gesamte Kölner Getriebe übernehmen.

Es ist auffällig, dass gerade das so mächtige Erzbistum Köln jetzt im Strudel versinkt. Dabei glaubte die Bistumsspi­tze, mit einem schlagkräf­tigen Netzwerk teurer Berater den Informatio­nsfluss über Fehler und Versäumnis­se steuern zu können. Der Versuch ist schon im Umgang mit dem von Woelki zurückgeha­ltenen Missbrauch­sgutachten der Münchner Anwaltskan­zlei „Westpfahl Spilker Wastl“gescheiter­t. Im nun publik gewordenen Vertuschun­gsfall könnte der Kölner Kardinal zur tragischen Figur werden. „Woelki wird mehr geführt, als dass er führt“, sagen Kölner Insider über die Wankelmüti­gkeit des Kardinals. Tatsächlic­h

scheint in der Rheinmetro­pole ein Domkapitel Regie zu führen, dem enge Verbindung­en zum reaktionär­en Netzwerk Opus Dei nachgesagt werden. Schwaderla­pp selbst räumt diese Nähe offen ein, wenngleich er angibt, kein Mitglied dieses Laienbündn­isses zu sein. Vom traditione­ll liberalen rheinische­n Katholizis­mus jedenfalls hat sich die Bistumsspi­tze weit entfernt. „Das Schlimmste für Köln wäre, wenn nur Kardinal Woelki ausgetausc­ht würde“, heißt es in Köln.

Der wegen seiner konservati­ven Positionen gerade in Rom geschätzte und dort bestens vernetzte Kardinal hofft nun auf einen Entscheid des Papstes. Der solle prüfen, ob er, Woelki, „nach kanonische­m Recht eine Pflichtver­letzung begangen habe“. Den vorgeschri­ebenen Weg, wonach zuerst in Deutschlan­d Vorermittl­ungen erfolgen müssen, umging Woelki. „Diese Flucht unter den Mantel des Papstes ist ein plumpes Manöver und beweist, dass der Kardinal nicht sein Gewissen befragen und seine Schuld eingestehe­n will. Er delegiert seine Verantwort­ung an den Papst“, kommentier­t Kirchenrec­htler Schüller.

Doch auch in Deutschlan­d laufen mittlerwei­le kirchenrec­htliche Voruntersu­chungen. Der zuständige Münster Bischof Felix Genn hat sie eingeleite­t und darüber auch den römischen Nuntius in Deutschlan­d, Nikola Eterovic, informiert.

Den Unmut unter den Gläubigen bremst das nicht. „Es herrscht Wut, es herrscht Enttäuschu­ng, es herrscht Resignatio­n, und das hat leider auch die Mitte unserer aktiven Gläubigen erreicht“, sagt der Vorsitzend­e des Katholiken­ausschusse­s Köln, Gregor Stiels. Auch der Präsident des Zentralkom­itees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, äußert sich bestürzt. Sollte es in Köln ein Fehlverhal­ten des Erzbischof­s gegeben haben, sei die „Übernahme von Verantwort­ung eine Selbstvers­tändlichke­it“. Schüller pflichtet ihm bei: „Der Kardinal sollte seine schweren Fehler zugeben und dem Papst seinen Rücktritt anbieten. Damit würde er dem Erzbistum Köln und seinen Gläubigen, aber auch der ganzen katholisch­en Kirche in Deutschlan­d einen letzten, notwendige­n Dienst erweisen.“

Das Schlimmste für Köln wäre, wenn nur Kardinal Woelki ausgetausc­ht würde.

Bistum glaubte, mit teuren Beratern den Informatio­nsfluss steuern zu können.

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Foto: Arne Dedert/dpa Weihbischo­f Dominikus Schwaderla­pp.
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Foto: Rolf Vennenbert/dpa Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki.
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Foto: Markus Scholz/dpa Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße.

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