Richterin: In Corona-krise ist Störung eskaliert
Wegen der versuchten Entführung einer Achtjährigen muss ein Stuttgarter in die Psychiatrie.
Stuttgart. Ein Mann packt auf offener Straße in Stuttgart ein achtjähriges Mädchen am Arm und versucht, es mit sich zu ziehen. Eine Passantin verhindert das Schlimmste. Später findet die Polizei bei ihm einen Rucksack, in dem diverses Sexspielzeug steckt, auch ein Messer. Ein halbes Jahr nach der Tat ist der Angreifer, ein 50-jähriger Stuttgarter, jetzt verurteilt worden. Das Strafmaß von 15 Monaten Haft ist letztlich zweitrangig: Weil das Gericht den Mann aufgrund einer psychischen Störung als nur vermindert schuldfähig einstufte, wird er in einer Psychiatrie untergebracht. Und zwar zunächst unbefristet.
Im Urteil war die zweite Strafkammer am Stuttgarter Landgericht hinter der Anklage zurückgeblieben. Diese hatte auf versuchter schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit versuchter schwerer Vergewaltigung und versuchter Entziehung Minderjähriger gelautet. Nach vier Verhandlungstagen, die teils unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hatten, sah die Kammer jedoch nur eine Nötigung sowie die versuchte Entführung als erwiesen an.
Dass der Mann sexuelle Handlungen im Sinn gehabt habe, liege zwar auf der Hand, es sei jedoch kein konkreter Tatplan erkennbar, und den brauche es für die Ahndung eines versuchten schweren Missbrauchs, rechtfertigte die Vorsitzende Richterin Sina Rieberg das Urteil. Letztlich sei im Diffusen geblieben, was der Mann mit dem Mädchen in seiner Wohnung genau habe machen wollen.
Der Angeklagte selbst hatte im Prozess zur Tat geschwiegen, gegenüber einem psychiatrischen Sachverständigen aber Angaben gemacht. Dem Gutachten zufolge, auf das die Richterin im Urteil verwies, ist der 50-Jährige schwer persönlichkeitsgestört. In der Corona-krise sei eine schwelende „tiefgreifende sexuelle Pathologie“, offenbar genährt durch Komplexe und Zurückweisungen von Frauen, eskaliert.
Der Langzeitarbeitslose, der ein reges Sozialleben gehabt habe, sei durch die Kontaktbeschränkungen zusehends vereinsamt, was er mit Pornos kompensiert habe, sagte die Richterin. Deren Inhalte seien immer härter geworden, „bis hin zu Dingen, die wir uns nicht vorstellen können“. Im Moment gehe von dem Mann eine hohe Gefahr für die Allgemeinheit aus. Weitere gravierende Taten seien zu erwarten. Deshalb sei die Unterbringung notwendig.