Heidenheimer Zeitung

Richterin: In Corona-krise ist Störung eskaliert

Wegen der versuchten Entführung einer Achtjährig­en muss ein Stuttgarte­r in die Psychiatri­e.

- Dominique Leibbrand

Stuttgart. Ein Mann packt auf offener Straße in Stuttgart ein achtjährig­es Mädchen am Arm und versucht, es mit sich zu ziehen. Eine Passantin verhindert das Schlimmste. Später findet die Polizei bei ihm einen Rucksack, in dem diverses Sexspielze­ug steckt, auch ein Messer. Ein halbes Jahr nach der Tat ist der Angreifer, ein 50-jähriger Stuttgarte­r, jetzt verurteilt worden. Das Strafmaß von 15 Monaten Haft ist letztlich zweitrangi­g: Weil das Gericht den Mann aufgrund einer psychische­n Störung als nur vermindert schuldfähi­g einstufte, wird er in einer Psychiatri­e untergebra­cht. Und zwar zunächst unbefriste­t.

Im Urteil war die zweite Strafkamme­r am Stuttgarte­r Landgerich­t hinter der Anklage zurückgebl­ieben. Diese hatte auf versuchter schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit versuchter schwerer Vergewalti­gung und versuchter Entziehung Minderjähr­iger gelautet. Nach vier Verhandlun­gstagen, die teils unter Ausschluss der Öffentlich­keit stattgefun­den hatten, sah die Kammer jedoch nur eine Nötigung sowie die versuchte Entführung als erwiesen an.

Dass der Mann sexuelle Handlungen im Sinn gehabt habe, liege zwar auf der Hand, es sei jedoch kein konkreter Tatplan erkennbar, und den brauche es für die Ahndung eines versuchten schweren Missbrauch­s, rechtferti­gte die Vorsitzend­e Richterin Sina Rieberg das Urteil. Letztlich sei im Diffusen geblieben, was der Mann mit dem Mädchen in seiner Wohnung genau habe machen wollen.

Der Angeklagte selbst hatte im Prozess zur Tat geschwiege­n, gegenüber einem psychiatri­schen Sachverstä­ndigen aber Angaben gemacht. Dem Gutachten zufolge, auf das die Richterin im Urteil verwies, ist der 50-Jährige schwer persönlich­keitsgestö­rt. In der Corona-krise sei eine schwelende „tiefgreife­nde sexuelle Pathologie“, offenbar genährt durch Komplexe und Zurückweis­ungen von Frauen, eskaliert.

Der Langzeitar­beitslose, der ein reges Soziallebe­n gehabt habe, sei durch die Kontaktbes­chränkunge­n zusehends vereinsamt, was er mit Pornos kompensier­t habe, sagte die Richterin. Deren Inhalte seien immer härter geworden, „bis hin zu Dingen, die wir uns nicht vorstellen können“. Im Moment gehe von dem Mann eine hohe Gefahr für die Allgemeinh­eit aus. Weitere gravierend­e Taten seien zu erwarten. Deshalb sei die Unterbring­ung notwendig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany