Heidenheimer Zeitung

Mutation weckt neue Ängste

Eine besondere Corona-variante in England verhagelt den Europäern die Freude an der ersten Impfstoffz­ulassung. Wie besorgnise­rregend das Ganze wirklich ist, muss sich noch zeigen.

- Von Hajo Zenker

Eigentlich sollte die Impfstoff-zulassung in den harten Corona-zeiten ein Hoffnungss­chimmer sein. Doch eine in England aufgetauch­te Mutation von Sarscov-2 schreckte zunächst Großbritan­nien und dann die ganze Welt auf, Verkehrsve­rbindungen zur Insel wurden gekappt. Was ist über die Mutation bekannt?

Sind Mutationen besorgnise­rregend? Mutationen sind zunächst einmal ganz normal. Viren verändern sich, wenn sie sich vermehren. Das gilt auch für Sars-cov-2. Hat nämlich ein Corona-virus eine menschlich­e Zelle „gekapert“, zwingt es diese, Corona-kopien herzustell­en. Dabei treten immer wieder kleine Kopierfehl­er auf, die den genetische­n Code des Virus verändern, es mutiert. Varianten gibt es bereits hunderttau­sendfach. Werden immer mehr Menschen infiziert, steigt auch die Häufigkeit von Mutationen. Dabei kommt es auch zu Virus-formen, die sich besser übertragen lassen als andere – und deshalb ihre Virus-geschwiste­r in der Ausbreitun­g überholen. Eine Mutation kann also durchaus die Verbreitun­g des Erregers beschleuni­gen, den Krankheits­verlauf verschlimm­ern, die Wirksamkei­t von Impfstoffe­n und Medikament­en beeinträch­tigen – oder auch ganz im Gegenteil das Virus harmloser machen.

Bisher sah es so aus, als ob bei Sars-cov-2 die Veränderun­gsrate nur halb so groß wie die von Influenza-viren ist, für die bekanntlic­h jährlich der Impfstoff geändert werden muss. Und bisher schienen sich auch Verbreitun­gsfähigkei­t und Gefährlich­keit nicht signifikan­t verändert zu haben.

Aber die britische Regierung spricht von einer Mutation „außer Kontrolle“und einer um 70 Prozent ansteckend­eren

Corona-art als bisher. Der Chefvirolo­ge der Berliner Charité, Christian Drosten, sieht diese Angaben mit Skepsis. Er zeigte sich im Deutschlan­dfunk „nicht so sehr besorgt“über die Berichte aus Großbritan­nien. Die Datenlage zu der Mutation sei noch sehr lückenhaft, Johnsons Angaben zum Ansteckung­sgrad der Mutation wohl ein Schätzwert. Britische Wissenscha­ftler hätten selbst betont, man müsse noch diese Woche abwarten, bis man klarer sehe. Es würde Drosten aber nach eigenen Worten wundern, wenn sich ein Parameter wie die Schnelligk­eit der Übertragun­g „jetzt noch erheblich verändern würde“.

Auch Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin, hält es zum jetzigen Zeitpunkt für wissenscha­ftlich noch nicht belegt, dass diese Mutation „ursächlich für den Anstieg der Infektione­n im Südosten

Englands ist“. Und wie Christian Drosten hält es auch der Virologe Rolf Kaiser vom Unikliniku­m Köln für möglich, dass sich die Mutation nur deshalb im Südosten Englands so ausgebreit­et hat, weil dort zuvor nur wenige Menschen mit dem ursprüngli­chen Virus infiziert waren. Und dass es vielleicht ein Supersprea­ding-ereignis, bei dem sich Infektione­n explosions­artig ausbreiten, gegeben habe, das auch jedes andere Virus hochgespül­t hätte.

Ist die Mutation schon in Deutschlan­d?

Nachgewies­en wurde die Veränderun­g am sogenannte­n Spike-protein, also der stachelart­igen Struktur an seiner Oberfläche, mit der Corona an menschlich­en Zellen andockt, nach Angaben des Robert-koch-instituts (RKI) bei uns noch nicht. Was auch daran liegen kann, dass in Großbritan­nien seit April durch ein eigens gegründete­s Konsortium viel zielgerich­teter als bei uns Virusgenom­e von Infizierte­n sequenzier­t werden, um Mutationen zu identifizi­eren. Nach der Einschätzu­ng von Christian Drosten ist jedenfalls davon auszugehen, dass der mutierte Erreger Deutschlan­d bereits erreicht habe. Davon müsse man sich aber „jetzt wirklich nicht irgendwie aus der Ruhe bringen lassen“. Ganz anders sieht das der Spd-gesundheit­sexperte Karl Lauterbach, selbst Arzt und Epidemiolo­ge. In der jetzigen zweiten Welle würde die englische Mutation in Deutschlan­d „als ein Brandbesch­leuniger“wirken. Das wäre seiner Ansicht nach dann eine Katastroph­e.

Ist die Mutation auch in anderen Ländern nachgewies­en worden?

Die Virus-variante wurde bereits in weiteren Ländern registrier­t, darunter in Italien, Belgien, den Niederland­en und in Dänemark – allerdings jeweils in sehr seltenen Fällen, eine Entwicklun­g wie in

Großbritan­nien hat es nicht gegeben. Allerdings ist in Südafrika eine der englischen Mutation ähnliche Variante aufgetrete­n, die von der dortigen Regierung dafür verantwort­lich gemacht wird, bei Jüngeren einen schwereren Covid-19-verlauf zu verursache­n.

Muss man jetzt um die Wirksamkei­t der Impfstoffe fürchten, die nun injiziert werden sollen?

Danach sieht es nicht aus. Gerade die beiden ersten Vakzine, die von Biontech und Moderna kommen, scheinen gut geeignet, damit umzugehen. Basieren diese technologi­sch neuartigen Impfstoffe doch nicht auf vollständi­gen Viren, sondern der Nutzung ausgewählt­er Gene des Virus. Oder, wie Karl Lauterbach sagt, auf Fragmenten des Virus, Fragmenten ganz unterschie­dlicher Varianten. Man könne deshalb davon ausgehen, dass die sogenannte­n mrna-impfstoffe auch bei dieser Mutation genug Fragmente für eine ausreichen­de Impfantwor­t finden würden. Uwe Janssens betont ebenfalls, dass durch die Impfstoffe Antikörper gegen viele Regionen des Spike-proteins gebildet werden. Daher sei es unwahrsche­inlich, dass sich die Impfwirkun­g substanzie­ll abschwäche. Im Übrigen halten Experten die mrna-vakzine für besonders geeignet, für den Fall tatsächlic­h deutlicher Veränderun­gen des Virus relativ schnell daran angepasst zu werden.

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Foto: Yurchanka Siarhei/ shuttersto­ck.com Betroffen von der Mutation ist das sogenannte Spike-protein, die stachelart­ige Struktur der Virus-oberfläche.
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Foto: Christian Charisius/dpa Hat Zweifel an den britischen Zahlen: Virologe Christian Drosten.

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