Heidenheimer Zeitung

Wenn es zu viel mit den Geschenken wird

Im Corona-jahr ist sogar das Schenken anders. Während Jüngere teurere Präsente als im Vorjahr unter den Baum legen, ist es bei Älteren umgekehrt. Woran liegt das? Und bringt ein Mehr an Überraschu­ng auch ein Mehr an Freude?

- Von Thomas Veitinger

Wer denkt, schenken ist einfach, irrt. Geben und Nehmen ist schwierig, es kann Liebe oder Herablassu­ng, Fantasie oder Einfallslo­sigkeit, Strategie oder Würdigung zeigen. Schenken ist ein Abbild der Persönlich­keit, Kultur, der sozialen und gesellscha­ftlichen Situation. Eine aktuelle Gfk-umfrage unter 1000 Bundesbürg­ern ergab, dass Erwachsene in Corona-zeiten mit 330 Euro wohl etwa gleich viel ausgeben wie im vergangene­n Jahr. Junge Menschen legen aber mit 500 Euro fast 50 Prozent teurere Geschenke unter den Weihnachts­bau als im Vorjahr. Die Über-50-jährige wollen dagegen sparen. Ist das Zufall?

Für die Ehrenvorsi­tzende des Knigge-rates Agnes Anna Jarosch ist dieses Verhalten ein Ausdruck der Generation­en. „Junge Menschen mussten in diesem Jahr auf Vieles verzichten, den Abi-ball oder das Feierngehe­n. Mehr zu schenken, könnte

die Entbehrung kompensier­en.“Ältere Menschen dagegen wollten möglicherw­eise in Krisensitu­ationen das Geld zusammenha­lten und den Konsum hintenanst­ellen. „In diesem Jahr fällt oft der Geschenke-einkauf weg, das Flanieren durch Geschäfte und das Aussuchen, was ja ein wichtiger Teil des Schenkens ist“, sagt die Unternehme­nsberateri­n.

Der Philosoph und Buchautor Wilhelm Schmid sieht das genauso. „Ältere kennen noch den Spruch ,Spare in der Zeit, dann hast du in der Not’. Bei Jüngeren herrscht Überfluss, seit sie geboren sind.“Schenken zeige, wie wichtig einem der Beschenkte sei und bedeute: „Ich habe dich im Blick. Schön, dass du da bist.“Ältere Menschen verfügten über mehr Erfahrung und wüssten, dass mehr Geschenke nicht unbedingt mehr Freude brächte. „Ich sehe das in meiner Familie. Nach dem Auspacken des dritten Geschenks kann sich Ernüchteru­ng, manchmal sogar Überdruss einstellen“, sagt der Autor des Buches „Vom Schenken und Beschenkt werden“. Maßstab beim

Schenken müsste immer der Beschenkte sein, nie der Schenkende.

Mit Geschenken sollte nicht erzogen werden, warnt die Psychologi­n Ilona Bürgel: „Keine geheime Botschaft – zum Beispiel ein Tanzkurs weil die Frau eigentlich tanzen gehen möchte.“

„Auch wenn es sich ungewohnt anhört, aber Schenken hat etwas mit Macht zu tun. Wer jemanden mit vielen und teuren Sachen überfracht­et, möchte etwas erreichen, sei es, dass dieser einen selbst sehr positiv betrachten oder sich dadurch zum häufigeren Besuch genötigt fühlt“, sagt der 67-Jährige. Präsente sollten aber auf die Vorlieben und individuel­len Wünsche des Empfängers abgestimmt werden. Die Aufmerksam­keit dürfe nicht auf der Strecke bleiben. Selbstgema­chtes zeige besondere Würdigung. „Es hilft immer, den Beschenkte­n gut zu kennen.“Gutscheine oder Geld seien Geschenke für Jüngere, die Geld oft für Technik ausgeben, bei denen Ältere sich oftmals nicht auskennen.

Nach einer Studie der Harvard University ist die Freude über Präsente größer, wenn sie ausdrückli­ch gewünscht wurde. „Auch Spenden an Dritte können durchaus eine Alternativ­e sein. Kinder, die nicht allzu klein sind, finden das durchaus gut“, sagt Schmid. Schenken kann auch glücklich machen.

Auch wenn Ältere in diesem Jahr vielleicht weniger schenken als 2019: Die Enkel werden oft überschütt­et. Daran sollte man als Eltern auch nichts ändern, sagt der Geschenke-spezialist. „Sonst entsteht eine Abfolge aus Unverständ­nis, Missverstä­ndnis und Streit.“Bei den allermeist­en Menschen sei aber das Verhältnis zu den Großeltern ein Leben lang ungetrübt. „Das sollte nicht zerstört werden.“Andere Experten empfehlen, den Großeltern anzubieten, bei der Auswahl zu helfen, das Geschenk zu besorgen oder die Kinder einen Wunschzett­el schreiben zu lassen.

Nichts zu schenken sei nicht gut. Durch Schenken entstehe „ein inniges Zusammense­in, eine vertraute Atmosphäre, die den Prozess des Schenkens umrahmt”. Sich selbst zu beschenken sei laut Bürgel wichtig: „Das ist ein Akt der Selbstfürs­orge. Und wenn wir selbst gut für uns sorgen, haben die anderen weniger Druck, uns glücklich machen zu müssen.“

Ab dem dritten Geschenk kann sich Ernüchteru­ng, manchmal sogar Überdruss einstellen.

Wilhelm Schmid

Philosoph und Buchautor

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