Heidenheimer Zeitung

Spiele-keller statt Südsee

80 Seeleute aus einem Inselstaat im Pazifik sitzen in der Jugendherb­erge in Hamburg fest. Ein Pastor kümmert sich um Formalität­en, Suppen und mehr.

- Von Julia Reiß

Atriano Taira (29) sitzt am Fenster des Aufenthalt­sraums in der Jugendherb­erge Hamburg-horn und starrt in den grauen Himmel. Er ist Matrose und war seit 17 Monaten nicht mehr zu Hause in Kiribati. Wie 80 andere Seeleute hängt er in Hamburg fest, weil die Regierung von Kiribati aus Angst vor dem Coronaviru­s sogar die eigenen Leute nicht mehr ins Land lässt. Bisher ist der Inselstaat im Pazifik coronafrei. Keiner der Männer weiß, wann er nach Hause fliegen kann.

Als Taira im Oktober von seiner Reederei von Bord geholt wurde, ging er davon aus, sein Aufenthalt in Hamburg dauere ein paar Tage. Inzwischen weiß er, dass er auch zu Weihnachte­n noch nicht zu Hause sein wird.

Erst waren sie nur zu neunt, doch immer mehr Crewmitgli­eder kommen nach. Die Reederei Leonhardt und Blumberg hat ihren Sitz in Hamburg und kümmert sich um Unterkunft und Verpflegun­g ihrer Seeleute.

Wenn Matrosen weit über ihre vertraglic­he Zeit hinaus an Bord waren und dann an Land kommen, „haben sie erst mal einen Koller“, sagt der Seemannspa­stor Matthias Ristau. Gemeinsam mit den Hamburger Seemannsmi­ssionen versucht er, für die Männer in der Jugendherb­erge Freizeitan­gebote auf die Beine zu stellen und für Sorgen da zu sein.

Wegen der ungeplante­n Verlängeru­ng ergeben sich vielseitig­e Probleme. Die meisten der kiribatisc­hen Männer waren noch nie in Hamburg und sind mit der Infrastruk­tur nicht vertraut.

Im ersten Stock des Betonbaus neben der Horner Galopprenn­bahn hat Ristau ein provisoris­ches Büro und einen Seaman’s Club eingericht­et. Hier können die Männer Waren des täglichen Bedarfs bestellen, und es gibt Cup-noodles, Sim-karten und warme Kleidung der Hilfsorgan­isation Hanseatic Help.

Erstmal Wlan einrichten

Ristau hat als erstes dafür gesorgt, dass auf allen Fluren starkes Wlan verfügbar ist. „Ein Segen, dass es Videoanruf­e gibt“, sagt Taira und lächelt tapfer. Von Mitternach­t an kann er mit der Heimat telefonier­en, die Zeitversch­iebung beträgt zwölf Stunden.

Tagsüber schläft Taira viel. Als das Wetter noch besser war, haben sie draußen Fußball gespielt, erzählt er. Im Keller der Jugendherb­erge gibt es einen Tischtenni­sraum,

und im Fernsehzim­mer steht das Brettspiel „Sorry“, die Kiribati-variante von „Mensch ärgere Dich nicht“.

Die Corona-pandemie erschwert die Lage: In der Herberge gilt die Crew eines Schiffes als ein Haushalt. Nur sie darf im Speisesaal am gleichen Tisch sitzen oder gemeinsam den Fernsehrau­m nutzen.

Kiribatis lächeln immer, aber als er auf Weihnachte­n angesproch­en wird, sind Tairas Augen trotzdem traurig. „Die Crew ist jetzt meine Familie“, sagt er. Er hoffe, dass sie trotzdem eine schöne Zeit haben werden.

Geplant sei für den Heiligen Abend ein gemeinsame­r Gottesdien­st im Speisesaal, sagt der Seemannspa­stor. „Anschließe­nd soll es ein Kaffeetrin­ken mit weihnachtl­icher Musik geben.“Er nahm Kontakt zum Pazifik-netzwerk

auf für Tipps zu Eigenheite­n, Traditione­n und kulinarisc­hen Besonderhe­iten. Einmal in der Woche treffen nun Freiwillig­e die Männer und erkunden mit ihnen zusammen Hamburg.

Für die Reederei sei die Situation auch nicht einfach, sagt

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Seit Oktober sitzen sie fest: Seemänner aus Kiribati in der Jugendherb­erge Hamburg-horn.
 ??  ?? Auch er sitzt fest: der Matrose Chris. Er spielt Online-spiele mit Gegnern aus der ganzen Welt.
Auch er sitzt fest: der Matrose Chris. Er spielt Online-spiele mit Gegnern aus der ganzen Welt.
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Das Brettspiel „Sorry“, die Kiribati-variante von „Mensch ärgere Dich nicht“.
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Der Seemannspa­stor der Nordkirche, Matthias Ristau.

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