Genesen, aber nicht gesund
Nach zwei Wochen ist eine Corona-infektion normalerweise überstanden. Doch selbst leicht Erkrankte können unter Langzeitfolgen leiden. Ein Architekten-ehepaar aus dem Landkreis berichtet.
Landkreis. Selbst leicht Erkrankte können nach einer Corona-infektion unter Langzeitfolgen leiden. Ein Ehepaar berichtet.
Als Workaholic bezeichnet er sich selbst. Morgens um halb sieben sitzt er schon im Büro. Zwölf-stunden-tage sind die Regel. Der 64-jährige Architekt aus dem Landkreis liebt und lebt seinen Beruf. Seine Frau hält ihm nicht nur den Rücken frei, sondern fungiert als seine rechte Hand. Bergwandern, Ski-fahren, Golf: Auch ihre Freizeit gestaltet das Paar aktiv. Oder besser gestaltete. Und das liegt nicht nur am Lockdown oder an Reisebeschränkungen. „An so etwas ist überhaupt nicht mehr zu denken“, sagt der Architekt. Der Grund: Das Paar hatte sich Mitte Oktober mit Corona infiziert. Seitdem ist ihr Leben aus den Fugen geraten und sie erkennen sich selbst kaum wieder.
Ich vergesse einfach, was ich sagen wollte. Mir fallen die richtigen Worte nicht mehr ein. Das ist wie eine Art Demenz.
Es ist einfach erschreckend und niederschmetternd.“
Ich war heute zwei Mal im Keller. Danach war ich so erschöpft, als hätte ich das Matterhorn bestiegen.“
Aber von vorn. Wo oder wann genau sich das Paar angesteckt hat, ist unklar. Wie jedes Jahr, wenn das Wetter wechselt, hatte die 56-Jährige mit einer leichten Erkältung zu kämpfen. Das einzige Symptom: eine verstopfte Nase. „An Corona habe ich überhaupt nicht gedacht“, sagt sie. Doch dann wurde ihre Schwester positiv getestet, sie wurde als Kontaktperson ersten Grades eingestuft und ließ sich testen. Zwei Tage nach dem Abstrich verlor die 56-Jährige ihren Geruchs- und Geschmackssinn. Eines der typischen Symptome nach einer Covid-infektion. „Das positive Testergebnis kam einen Tag später, aber mir war davor schon klar, dass es Corona sein muss.“
Erschöpft und müde
Schon in der Zeit, als das Paar auf das Testergebnis wartete, hatte sich ihr Mann in häusliche Isolation begeben. Zunächst hatte er keine Symptome, dann setzte starker Husten ein. Hinzu kamen Müdigkeit und Konzentrationsstörungen. Zweieinhalb Wochen blieb man zu Hause. Ein Krankenhausaufenthalt war nicht nötig. Der Verlauf der Erkrankung war mild und heute wird das Paar in der Statistik als genesen geführt. Gesund sind sie allerdings nicht. „Ich war heute zwei Mal im Keller. Das ist nur ein Stockwerk, aber danach musste ich mich hinsetzen. Ich war so erschöpft, als hätte ich das Matterhorn bestiegen“, sagt der Architekt Thomas S., der seinen richtigen Namen im Hinblick auf mögliche negative Reaktionen seiner Auftraggeber nicht in der Zeitung lesen möchte. „Gestern war ich auf einer Baustelle und hatte danach eine Telefonkonferenz. Im Anschluss war ich tot, fertig, einfach platt.“Für den Workaholic nur schwer zu akzeptieren. „Ich erkenne mich selbst kaum wieder.“
„Wie eine Depression“
Seiner Frau geht es ähnlich. Müdigkeit, Konzentrationsprobleme, Wortfindungsstörungen. „Ich vergesse einfach, was ich sagen wollte. Mir fallen die richtigen Worte nicht mehr ein. Das ist wie eine Art Demenz.“Dazu kommt die gedrückte Stimmung. „Ich könnte ständig und grundlos anfangen zu weinen“, sagt die 56-Jährige. Liegt die gedrückte Stimmung daran, dass sie sich nicht mehr so leistungsfähig fühlt wie früher? „Nur zum Teil. Die Niedergeschlagenheit ist ein eigenes Symptom. Es fühlt sich an wie eine Depression.“
Ihr Mann hat dieselben „Es ist einfach
Beschwerden. erschreckend und niederschmetternd“, sagt der 64-Jährige. „Man verliert jede Lebensfreude.“An Sport sei gar nicht mehr zu denken. „Wir schaffen nicht mal einen halbstündigen Spaziergang. Nach zehn Minuten müssen wir umdrehen.“Vorerkrankungen hatte das Architektenpaar keine. „Bis auf eine Erkältung alle paar Jahre war ich immer gesund“, sagt Thomas S.
Regelmäßig bespricht das Paar seinen Zustand mit dem Steinheimer Hausarzt Dr. Jörg Sandfort. Er führte Untersuchungen durch, um Schädigungen der Lunge und des Herzens auszuschließen. Ebenso fanden fachärztliche Untersuchungen statt. Beim Architekten-ehepaar waren sowohl das EKG als auch der Lungenfunktionstest unauffällig, die Laborwerte normal. „Die Beschwerden nach der Infektion stehen in keinem Verhältnis zur Erkrankung selbst“, sagt Sandfort. „Dass Menschen,
die länger im Klinikum waren, lange Zeit zur Genesung brauchen, ist normal und auch nach anderen schweren Erkrankungen bekannt. Neu ist, dass Menschen auch Monate nach einer vergleichsweise milden Covid-19-erkrankung unter Beschwerden leiden, die sie im Alltag beeinträchtigen. Dazu zählen Abgeschlagenheit, Atemnot bei Belastung, Muskelschwäche sowie neurologische und auch psychische Beschwerden.
Prognose und Therapie
Aus medizinischer Sicht sei das sehr ungewöhnlich, so Sandfort. Aber mit ihren Beschwerden ist das Architekten-paar keinesfalls allein. Das Phänomen hat auch bereits einen Namen: Long Covid. Sandfort schätzt, dass etwa 10 bis 15 Prozent der sogenannten Genesenen nicht wirklich gesund sind. Diese Zahl deckt sich auch mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen (siehe separater Beitrag). Über die Gründe ist noch wenig bekannt, was laut Sandfort auch eine Prognose und die Therapie schwierig macht.
Unterkriegen lassen will sich das Architekten-paar trotz allem nicht. „Es wäre nicht unsere Art, jetzt den Kopf in den Sand zu stecken“, sagt Thomas S. Dennoch: „Als der Test positiv ausfiel, habe ich mir überhaupt keine Sorgen gemacht, aber jetzt bin ich einfach geschockt.“Angesprochen auf Querdenker und Coronaleugner herrscht am anderen Ende der Leitung erst einmal Stille. „Bei dem Thema muss ich mich zurückhalten“, sagt Thomas S. „In ihrer Ignoranz sind das für mich eigentlich ganz arme Menschen.“Seine Frau ist weniger zurückhaltend: „Solchen Leuten würde ich am liebsten ins Gesicht schlagen. Und dann sollen sie mir sagen, dass der Schlag nicht wehgetan hat.“