Heidenheimer Zeitung

Schlecht aufgestell­t

- Dieter Keller zum Start der Grundrente leitartike­l@swp.de

Stell dir vor, die Grundrente kommt, und keiner merkt’s. Am 1. Januar 2021 startet diese angebliche sozialpoli­tische Großtat der Großen Koalition. Aber frühestens zur Jahresmitt­e erhalten die ersten Senioren Geld, und bis die neue Leistung bei allen 1,3 Millionen Rentnern ankommt, die etwas davon haben dürften, dauert es bis Ende 2022. Zwar wird sie rückwirken­d gezahlt. Aber schon der Zeitverzug zeigt, dass da ein unglaublic­h komplizier­tes, ja undurchsch­aubares System gestrickt wurde, das genauso unbefriedi­gend ist wie die gesamte Rentenpoli­tik in dieser Legislatur­periode.

Schon der Name führt in die Irre: Die Grundrente ist keine Mindestren­te für alle. Vielmehr werden kleine Renten aufgestock­t, vorgeblich um die Lebensleis­tung besser anzuerkenn­en. Unseligerw­eise wurde das auch noch mit dem Problem der Altersarmu­t verknüpft, obwohl bei der das Hauptprobl­em ist, dass viele nie oder kaum in die gesetzlich­e Rente einbezahlt haben. Heraus kommen im Schnitt eher bescheiden­e Beträge, nämlich 75 Euro im Monat. Dafür werden sich viele benachteil­igt fühlen, die nicht in den Genuss kommen, etwa weil ihr Verdienst zu hoch war.

Ein Punkt immerhin ist positiv: Die Milliarden-kosten übernimmt der Staat, auch wenn die Rentenvers­icherer auf dem hohen Bürokratie­aufwand sitzen bleiben. Anders sah das bei der Aufstockun­g der Mütterrent­e Anfang 2019 aus, die weitgehend zu Lasten der Rentenkass­en ging. So sehr den Müttern das zusätzlich­e Geld zu gönnen ist – sehr viel sinnvoller wäre es gewesen, mit den Mitteln die Renten für die Arbeitnehm­er aufzustock­en, die wegen einer Erwerbsmin­derung nicht mehr arbeiten können. Diese Renten wurden zwar in den letzten Jahren mehrfach verbessert, aber immer nur für neue Fälle. Wer schon erwerbsunf­ähig ist, ist in vielen Fällen im wahrsten Sinne des Wortes arm dran – ohne Aussicht auf Besserung.

An die schwierige­n Reformbaus­tellen hat sich die Große Koalition erst gar nicht herangewag­t. Für die Altersvors­orgepflich­t der Selbständi­gen gibt es noch keinen Gesetzentw­urf, und von einem langfristi­gen Konzept für die Altersvers­orgung nach 2025 ist gar nichts zu sehen. Die aktuelle Koalition ging nach dem Prinzip vor: Erst mal neue Wohltaten verteilen, um die langfristi­ge Finanzieru­ng sollen sich künftige Regierunge­n kümmern. Das dürfte sich schon in der nächsten Legislatur­periode

An die schwierige­n Reformbaus­tellen hat sich die Große Koalition erst gar nicht herangewag­t.

rächen, wenn spätestens 2023 der Beitragssa­tz erhöht werden muss. Es gab genug Warnungen, nur wollte sie keiner hören.

Wenn schon die gesetzlich­e Rente nicht so sicher ist, wie die Politik gerne tut, sollte wenigstens die private Vorsorge für eine Stabilisie­rung sorgen. Doch genau das ist nicht der Fall. Die Riester-rente erweist sich weitgehend als Flop, schon weil die Verzinsung der angesparte­n Beträge bei Weitem nicht so hoch ist wie erhofft. An die dringend nötige Reform hat sich die Regierung bisher nicht herangewag­t. So bleibt die Bilanz zum Jahresende: Auch wenn sich die Koalition für die Grundrente feiert, ist die Altersvors­orge langfristi­g nicht sicher aufgestell­t. Keine gute Botschaft für Senioren wie Arbeitnehm­er.

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