Heidenheimer Zeitung

Zwischen Jubel und Frust

- Hendrik Bebber

Den dickleibig­en Wälzer des Vertragtex­tes hat Boris Johnson noch nicht gelesen, aber er beruhigte die Nation launig: „Was letztlich darin steht bedeutet nicht, dass wir Kinder sofort wieder zum Fegen in den Kamin jagen und Jauche auf unsere Strände leiten.“Aber der Premiermin­ister gab zu, „dass der Teufel im Detail steckt.“

Im Eiltempo wird das Parlament noch vor dem Ablauf der Übergangsf­rist zum Jahresende das neue Abkommen mit der EU billigen. Mit seiner satten Mehrheit von 80 Abgeordnet­en kann Johnson sicher sein, dass es durchgeht. Zudem hat Opposition­sführer Keir Starmer seine Fraktion vergattert, auch für das Abkommen zu stimmen.

Die meisten Briten sind wohl froh, dass diese viereinhal­b jährige Prozedur zu Ende ist. Überdies haben sie bei den neuen Rekordzahl­en von Corona-infektione­n und Todesopfer­n durch das Virus sowie Überschwem­mungen im Norden der Insel andere Sorgen.

„Ein Seufzer der Erleichter­ung geht durch die Business Community“, sagt Ulrich Hoppe, der Hauptgesch­äftsführer der Deutsch-britische Industrie- und Handelskam­mer in London das Verhandlun­gsende. „Es bleibt aber ein Seufzer, denn der Handel mit Gütern und Dienstleis­tungen über den Kanal wird nach dem 1. Januar 2021 für viele schwierige­r und teurer werden“

Für Nigel Farage, der mit seiner Brexit-partei, den Austritt aus der EU angeheizt hatte, „ist nun der Krieg zu Ende“. Er gratuliert­e Boris Johnson zu seinem Sieg für die Souveränit­ät des Königreich­s“. Tatsächlic­h hat der Premiermin­ister und seine Brexitiers die über 40-jährige Mitgliedsc­haft in der EU gekappt und die volle Kontrolle über „Grenzen und Gesetzgebu­ng“wieder erlangt.

Die Gegner des Austritts lecken ihre Wunden und rechnen vor, was dieser altväterli­che Patriotism­us die Nation kostet. „European Movement UK“, die zahlenmäßi­g stärkste pro-eu Bewegung in Europa, zitiert dazu die regierungs­amtliche Finanzaufs­ichtsbehör­de. Diese hat errechnet, dass der Deal das Bruttoinla­ndsprodukt des Königreich­s auf lange Jahre vier Prozent schmälern wird und damit schwerer wiegt als die finanziell­en Folgen der Corona-pandemie.

Schottland­s Regionalre­gierung reagierte mit Wut. Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon klagte Johnson an, dass er diesen Teil des Vereinigte­n Königreich­es, der deutlich gegen den Brexit gestimmt hatte, in die „verkehrte Richtung zwang“. Schottland strebe nun mit aller Macht ein neues Unabhängig­keitsrefer­endum an.

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Die schottisch­e Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon kritisiert den Brexit.

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