Zwischen Jubel und Frust
Den dickleibigen Wälzer des Vertragtextes hat Boris Johnson noch nicht gelesen, aber er beruhigte die Nation launig: „Was letztlich darin steht bedeutet nicht, dass wir Kinder sofort wieder zum Fegen in den Kamin jagen und Jauche auf unsere Strände leiten.“Aber der Premierminister gab zu, „dass der Teufel im Detail steckt.“
Im Eiltempo wird das Parlament noch vor dem Ablauf der Übergangsfrist zum Jahresende das neue Abkommen mit der EU billigen. Mit seiner satten Mehrheit von 80 Abgeordneten kann Johnson sicher sein, dass es durchgeht. Zudem hat Oppositionsführer Keir Starmer seine Fraktion vergattert, auch für das Abkommen zu stimmen.
Die meisten Briten sind wohl froh, dass diese viereinhalb jährige Prozedur zu Ende ist. Überdies haben sie bei den neuen Rekordzahlen von Corona-infektionen und Todesopfern durch das Virus sowie Überschwemmungen im Norden der Insel andere Sorgen.
„Ein Seufzer der Erleichterung geht durch die Business Community“, sagt Ulrich Hoppe, der Hauptgeschäftsführer der Deutsch-britische Industrie- und Handelskammer in London das Verhandlungsende. „Es bleibt aber ein Seufzer, denn der Handel mit Gütern und Dienstleistungen über den Kanal wird nach dem 1. Januar 2021 für viele schwieriger und teurer werden“
Für Nigel Farage, der mit seiner Brexit-partei, den Austritt aus der EU angeheizt hatte, „ist nun der Krieg zu Ende“. Er gratulierte Boris Johnson zu seinem Sieg für die Souveränität des Königreichs“. Tatsächlich hat der Premierminister und seine Brexitiers die über 40-jährige Mitgliedschaft in der EU gekappt und die volle Kontrolle über „Grenzen und Gesetzgebung“wieder erlangt.
Die Gegner des Austritts lecken ihre Wunden und rechnen vor, was dieser altväterliche Patriotismus die Nation kostet. „European Movement UK“, die zahlenmäßig stärkste pro-eu Bewegung in Europa, zitiert dazu die regierungsamtliche Finanzaufsichtsbehörde. Diese hat errechnet, dass der Deal das Bruttoinlandsprodukt des Königreichs auf lange Jahre vier Prozent schmälern wird und damit schwerer wiegt als die finanziellen Folgen der Corona-pandemie.
Schottlands Regionalregierung reagierte mit Wut. Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon klagte Johnson an, dass er diesen Teil des Vereinigten Königreiches, der deutlich gegen den Brexit gestimmt hatte, in die „verkehrte Richtung zwang“. Schottland strebe nun mit aller Macht ein neues Unabhängigkeitsreferendum an.