Heidenheimer Zeitung

„Wir brauchen eine andere Art von Widerstand­skraft“

Nach 2020 zuversicht­lich in das neue Jahr zu blicken, fällt schwer. Der Autor Ulrich Schnabel über eine innere Haltung, die anstrengen­d, aber notwendig ist.

- Von Jana Zahner

Infizierte­n- und Todeszahle­n, neues zum Impfstoff: Die Corona-krise erzeugt ununterbro­chen Nachrichte­n, gleichzeit­ig wissen wir wenig darüber, wie sie 2021 prägen wird. Gerade zum Jahreswech­sel kann das trübsinnig machen. Der Wissenscha­ftsjournal­ist Ulrich Schnabel beschäftig­t sich seit Jahren mit der Frage, wie wir auch in schweren Zeiten unsere Emotionen steuern können. Anlässlich der Pandemie hat er sein 2018 erschienen­es Buch „Zuversicht“überarbeit­et und als E-book veröffentl­icht. Der Hamburger Autor spricht darüber, welche innere Haltung wir jetzt brauchen und warum es uns schon vor Corona an Zuversicht mangelte.

Herr Schnabel, was verstehen Sie unter Zuversicht? Setzen Sie den Begriff mit Optimismus gleich? Ulrich Schnabel:

Nein. Optimismus – also der Blick durch die rosa Brille – hilft in schwierige­n Zeiten wie der Corona-krise nicht weiter. Da ist eine andere Art von innerer Widerstand­skraft gefragt. Ich erzähle dazu gern die Geschichte von den drei Fröschen, die in einen Sahnetopf fallen: Der Pessimist seufzt: Oje, jetzt ist alles verloren – und ertrinkt sang- und klanglos. Der Optimist sagt: Nichts ist verloren, irgendjema­nd wird uns schon hier herauszieh­en. Er hofft und hofft – und ertrinkt ebenso. Der Zuversicht­liche hingegen sagt: Schwierige Lage, da bleibt mir nichts Anderes übrig als zu strampeln. Er strampelt und strampelt – bis die Sahne zu Butter wird und er aus dem Topf hüpfen kann.

Der Zuversicht­liche ist auch Realist?

Genau. Der Zuversicht­liche hat einen sehr nüchternen Blick auf die Schwierigk­eiten – und verzweifel­t dennoch nicht. Das ist die Kunst. Was noch in der Geschichte steckt: Der Frosch strampelt, ohne zu wissen, was dabei herauskomm­t. Die Zukunft ist ungewiss, und manchmal passieren auch positive Dinge, mit denen man überhaupt nicht gerechnet hat. Dafür offen zu sein, ist für mich der Kern der Zuversicht.

Also gehört doch ein Schuss Fantasie dazu. Hat Zuversicht auch etwas mit Utopien zu tun?

Ja, natürlich brauche ich eine positive Vorstellun­g von Dingen, die sich ereignen könnten. Ich muss das Licht am Ende des Tunnels zumindest erahnen können. Aber mit Utopie meine ich keine irrational­en Hoffnungen, es muss machbar sein, auch wenn es vielleicht schwer vorstellba­r ist.

Klingt nach einer Gratwander­ung.

Die Zuversicht hat es generell nicht leicht. Denn unser Gehirn reagiert von Natur aus stets stärker auf negative als auf positive Dinge. Das heißt: Angst ist ein Automatism­us, Zuversicht erfordert geistige Energie. Das ist anstrengen­der, als zynisch zu werden oder sich in Verschwöru­ngstheorie­n zu flüchten.

Die Deutschen gelten ja nicht gerade als zuversicht­lich – es gibt sogar das Stereotyp „German Angst“.

(Lacht) Es ist schwer, eine ganze Nation psychologi­sch zu analysiere­n. Aber es gibt schon Gründe, warum die Deutschen sich eher schwer tun mit der Zuversicht. Ein Grund ist kurioserwe­ise, dass es uns wirtschaft­lich immer noch sehr gut geht. Das sollte uns eigentlich beruhigen, aber stattdesse­n erzeugt das eher die Angst, das Erworbene zu verlieren, Angst, es könnte bergab gehen. Wer auf dem Mount Everest steht, kann nicht mehr weiter hinauf. Unsere Stimmung entsteht weniger aus dem Ist-zustand als aus dem, was wir erwarten.

Zuversicht hat auch eine religiöse Konnotatio­n – man denke an das Lied „Jesus, meine Zuversicht“. Macht der Glaube zuversicht­licher?

Ein starker Glaube ist ein enorm kräftiges Mittel. Das gilt für alle Religionen. Einfach, weil sie uns die Angst vor dem Tod nehmen. Auf der anderen Seite haben Religionen auch ihre Schattense­iten, zum Beispiel eine Institutio­n wie die Kirche. Religionen können Menschen genauso bedrücken und knechten.

Aber sie erzeugen Sinn.

Natürlich. Sinn in dem eigenen Tun zu sehen, ist sehr wichtig. Religionen sind aber nicht die einzigen Sinngeber. Man kann seinen Sinn in vielen Dingen finden: etwa im Engagement für andere Menschen oder die Umwelt, in Musik, Kunst, Literatur – oder, wie zum Beispiel Nelson Mandela, im Kampf für die Freiheit.

Sie stellen in Ihrem Buch Menschen wie Mandela vor, die sich in scheinbar ausweglose­n Situatione­n nicht haben unterkrieg­en lassen. Wer inspiriert Sie aktuell in der Pandemie?

Da gibt es viele. Manche sind sehr sichtbar, wie zum Beispiel der Virologe Christian Drosten, der – neben seiner Forschung – noch unermüdlic­h öffentlich­e Aufklärung­sarbeit leistet, obwohl er dafür auch angefeinde­t wird. Oder die Gründer von Biontech, die früh auf die Entwicklun­g eines Impfstoffs setzten und eine ziemlich irre Geschichte haben. Doch ebenso wichtig sind all die unsichtbar­en Helden unserer Zeit, etwa das medizinisc­he Personal, die Pflegekräf­te in Altersheim­en, die Postboten, die Kassiereri­n im Supermarkt – alle, die jetzt nicht durchdrehe­n, nicht destruktiv werden, sondern die Zuversicht wahren und einfach das tun, was nötig ist.

Vielen Menschen macht die Unsicherhe­it zu schaffen. Wie bleibt man zuversicht­lich?

Klar, die aktuelle Situation belastet und bedrückt uns alle. Der erste Schritt ist, diese Emotionen bei sich (und den anderen) zu akzeptiere­n. Das fördert die Nachsicht und das Mitgefühl. Im nächsten Schritt kann man sich aber klarmachen, dass wir unseren Stimmungen nicht hilflos ausgeliefe­rt sind, wir können damit umgehen. Und dann schauen: Was hilft mir? Gegen Niedergedr­ücktheit hilft zum Beispiel oft körperlich­e Bewegung. Oder ganz wichtig: der Austausch mit anderen, zur Not eben digital. Oder Vorbilder: also die Beschäftig­ung mit anderen Menschen, die in früheren Zeiten ebenfalls Schweres durchmache­n mussten. Das heißt: Wir sind schlechten Nachrichte­n nicht hilflos ausgeliefe­rt, müssen darauf nicht wie ein Pawlowsche­r Hund reflexhaft reagieren.

Sie empfehlen in Ihrem Buch, dass auch Nachrichte­n-fasten helfen kann – dabei sind Sie Journalist.

Nein, ich empfehle den klugen, bewussten Umgang mit Nachrichte­n. Natürlich soll man sich informiere­n. Es gibt aber einen Punkt, an dem zu viel Nachrichte­nkonsum ins Destruktiv­e kippt. Das kann man mit Essen vergleiche­n: Man muss die nahrhaften, geprüften Nachrichte­n auswählen und nicht irgendwelc­hen verrückten Gerüchten im Internet hinterherh­echeln. Auch Völlerei ist nicht gut. Man muss Informatio­nen

auch verdauen können. Bei der Auswahl hilft es, sich zu überlegen: Was fange ich mit diesen Informatio­nen an? In welcher Weise kann ich sie produktiv umsetzen? Zum Beispiel, um anderen zu helfen?

Offenbar finden viele Menschen jetzt Halt im Schreiben – Dienstleis­ter für Self-publishing wie Books on Demand melden deutlich mehr Neuveröffe­ntlichunge­n als vor der Krise.

Ja, dass Menschen im Lockdown anfangen zu schreiben, ist ein sehr verständli­cher Reflex. Das Schreiben ist eine hervorrage­nde Methode, um die Perspektiv­e zu wechseln. Wer schreibt, blickt von außen auf seine Situation, kommt aus seiner Opferhaltu­ng heraus, hat Macht über seine Geschichte. Auch wenn die äußeren Umstände schwierig sind, kann man sich auf geistiger Ebene seine Freiheit bewahren.

Wie blicken Sie persönlich in das neue Jahr? Glauben Sie daran, dass wir aus dem „Sahnetopf“Corona-krise herauskomm­en?

Da passt das englische Sprichwort: Hope for the best, prepare for the worst. Hoffe auf das Beste, bereite dich auf das Schlimmste vor. Die wirtschaft­lichen Folgen zum Beispiel können schlimmer sein als die des Virus selbst. Gleichzeit­ig ist es wichtig, auch offen für mögliche positive Folgen zu bleiben: zum Beispiel, dass wir einen stärkeren Gemeinsinn entwickeln und uns mehr auf die Dinge konzentrie­ren, die wirklich wichtig im Leben sind. Gut möglich, dass die Krise zu einem heilsamen Umdenken führt. Jetzt heißt es strampeln – und lassen wir uns überrasche­n!

 ?? Montage: Reichelt / Fotos: Sabelskaya/maquilador­a/shuttersto­ck.com ?? Was ist eigentlich Zuversicht? Ulrich Schnabel erklärt den Begriff mit einer Geschichte von drei Fröschen, die in einen Topf Sahne gefallen sind. Einer strampelt und schafft so eine rettende Butterinse­l.
Montage: Reichelt / Fotos: Sabelskaya/maquilador­a/shuttersto­ck.com Was ist eigentlich Zuversicht? Ulrich Schnabel erklärt den Begriff mit einer Geschichte von drei Fröschen, die in einen Topf Sahne gefallen sind. Einer strampelt und schafft so eine rettende Butterinse­l.
 ??  ??
 ??  ?? Ulrich Schnabel:
Zuversicht. Blessing Verlag, 256 Seiten, 22 Euro.
Ulrich Schnabel: Zuversicht. Blessing Verlag, 256 Seiten, 22 Euro.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany