Heidenheimer Zeitung

Karl aus der Quarantäne

Oberstdorf-sieger Geiger erfüllt sich einen Kindheitst­raum – und kann sich selbst nicht erklären, wie er das nach turbulente­n Wochen geschafft hat.

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Im Hochgefühl des Heimsieges konnte Karl Geiger den freien Skisprung-tag besonders gut genießen. Nach knapp zweistündi­ger Auto-alpentour bezog das deutsche Team um Hoffnungst­räger Geiger am Mittwoch die gewohnte Hotel-wohlfühloa­se in Garmisch-partenkirc­hen, wo an Silvester die Qualifikat­ion und an Neujahr (14 Uhr/ ARD und Eurosport) der nächste Schritt zum ersten deutschen Vierschanz­entournee-sieg seit 2002 gelingen soll. Im Allgäu machte sich bei den Beteiligte­n das Gefühl breit: Wer wie Geiger direkt aus der Corona-quarantäne kommen und in Oberstdorf gewinnen kann, dem ist definitiv auch der prestigetr­ächtige Gesamtsieg zuzutrauen.

„Auf den Karl kann man sich immer verlassen. Wenn der Karl in seinem Tunnel drin ist, kann er das abrufen. Momentan schwebt er auf einer sehr guten Welle“, sagte Bundestrai­ner Stefan Horngacher, der nach dem ersten deutschen Tournee-einzelsieg seit Dezember 2015 spürbar erleichter­t war. Beim Heimspiel in Oberstdorf, das in normalen Zeiten über 25 000 Fans ansteuern, laste immer ein besonderer Druck auf dem deutschen Team, betonte der Trainer.

Horngacher hofft auf Steigerung

Nach Geigers Sieg und dem fünften Platz von Markus Eisenbichl­er hofft Horngacher für die nächsten drei Stationen auf eine weitere Steigerung. „Ziel ist es eher, langsam zu beginnen und immer stärker zu werden. Das werden wir weiterhin verfolgen. Die anderen werden auch nochmal aufs Pedal steigen, da müssen wir mit“, forderte der Chefcoach.

Geiger selbst erinnerte sich nach seinem Rührstück in der Heimat an die eigene Kindheit. „Als kleiner Junge stand ich unten an der Schanze und bewunderte die Springer während der Tournee. Bei der WM 2005 durfte ich als Fahnenkind dabei sein“, schrieb Geiger. Die Fahne von Kasachstan habe er damals getragen. Im Dezember 2020 stand er – vor Corona-bedingt leeren Rängen – plötzlich selbst auf der höchsten Podeststuf­e. „Zuhause! Es ist ein unbeschrei­bliches Gefühl! Ein Heimsieg, den ich mir immer erträumt habe.“

Und das nach dem turbulente­sten Monat seines Lebens. Anfang Dezember stieg er kurz aus dem Weltcup aus, um bei seiner hochschwan­geren Ehefrau Franziska zu sein, ließ sie dann kurz in Oberstdorf zurück, um mal eben in Planica Skiflug-weltmeiste­r zu werden. Zwei Tage danach kam Töchterche­n Luisa auf die Welt, wiederum zwei Tage später schickte ihn ein positiver Coronatest in Quarantäne, die Geiger im letzten Moment vor der Tournee beendete – um dann eiskalt zum Sieg zu springen.

„Ich weiß auch nicht, wie so etwas geht. Die vergangene­n Wochen waren ein einziges Auf und Ab, es ist alles schwer in Worte zu fassen“, sagte Geiger.

Seine schärfsten Konkurrent­en im Kampf um den Tournee-gesamtsieg sind der Pole Kamil Stoch (Zweiter) und die Norweger Marius Lindvik und Halvor Egner Granerud (Ränge drei und vier). „Es sind einige, die auf einem sehr hohen Niveau springen“, sagt Horngacher.

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Foto: Christof Stache/afp Mit stolz geschwellt­er Brust und unbändiger Freude: In der Form von Oberstdorf ist Karl Geiger auch der Tournee-gesamtsieg zuzutrauen.

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