Die „jungen Wilden“einst und jetzt
Ex-torhüter Hildebrand erklärt, was die Teams zu Beginn der 2000er-jahre und heute gemeinsam haben und wo sie sich unterscheiden.
Geht es um das aufstrebende Team des Fußball-bundesligisten VFB Stuttgart, ist oft von den „jungen Wilden 2.0“die Rede. Das Original waren zu Beginn der 2000er-jahre Torhüter Timo Hildebrand, Alexander Hleb, Andreas Hinkel oder Kevin Kuranyi. Sie machten, angeführt von den Routiniers Krassimir Balakov und Zvonimir Soldo, unter Trainer Felix Magath als unverbrauchtes Team mit erfrischendem Offensivfußball von sich reden.
Ist der Vergleich mit dem aktuellen Stuttgarter Team aber zulässig?
„Es gibt durchaus Parallelen zu heute“, sagt Hildebrand: „Die aktuelle Mannschaft besitzt wie wir damals junge Profis wie etwa Nicolas Gonzalez oder Tanguy Coulibaly, die jetzt richtig durchgestartet sind. Dazu kommen die Routiniers wie Gonzalo Castro und Daniel Didavi. Die Mischung stimmt. Wie 2001.“
Was sich geändert hat, ist die Beziehung zum Trainer. Magath, Spitzname „Quälix“, war ein Schleifer. Beim heutigen Chefcoach Pellegrino Matarazzo gibt es eine flache Hierarchie. „Es ist ein ganz anderer Umgang“, sagt Hildebrand: „Die Jungen trauen sich viel mehr zu. Wenn früher ein 18-Jähriger gesagt hätte: ‚Hey, Bala, geh mal Bälle tragen!‘ – dann hätte der das im Training schon gespürt.“
Die Original-wilden aus Stuttgart, zu denen sich im Juli 2003 noch ein junger Profi aus Bayern namens Philipp Lahm gesellte, setzten zu einem ungeahnten Höhenflug an. Dreimal in Folge erreichte der VFB unter Magath das internationale Geschäft, 2003 wurde man Vizemeister, ehe im Herbst desselben Jahres der legendäre 2:1-Heimsieg in der Champions League über Manchester United folgte. „Wir haben als Team funktioniert, haben uns gut verstanden – und auch einiges außerhalb des Platzes gemacht“, erinnert sich Hildebrand.
Auch heute gilt der Teamspirit beim VFB als ein entscheidender Erfolgsfaktor. „Es geht bei uns in der Kabine locker zu, jeder ist gleich“, sagt der defensive Mittelfeldspieler Orel Mangala. Anders als damals Balakow und Soldo sieht sich der heutige Kapitän Gonzalo Castro nicht in einer Sonderrolle.
Im Sommer 2001 hatte der VFB mit eigenem Personal aus der Not eine Tugend gemacht. Aufgrund leerer Kassen konnten ehemalige Jugendspieler wie Kevin Kuranyi oder der Weißrusse Alexander Hleb, der zuvor eine Saison in der zweiten Mannschaft gespielt hatte, bei den Profis voll durchstarten. „Zu meiner Zeit war es noch außergewöhnlich, wenn man mit 20 Jahren Bundesliga spielen konnte. Inzwischen sind die
ehemaliger Vfb-torhüter jüngsten Debütanten ja erst 16 Jahre“, sagt Hildebrand, „die Ausbildung des Nachwuchses ist viel professioneller geworden. Es gibt Ausnahmen – aber mit 30 Jahren hat man als Profi heute meist schon ausgedient. Es hat sich alles nach vorne verlagert.“
Trainer-handschrift ist wichtig
In Silas Wamangituka, Mateo Klimowicz, Tanguy Coulibaly, Lilian Egloff und Momo Cissé haben auch beim VFB Teenager ihre Bundesliga-laufbahn in Liga eins und zwei gestartet. Dazu gesellt sich in dem Japaner Wataru Endo (27) ein Profi mittleren Alters, der zuletzt auf der Sechserposition nahezu alles richtig machte. „Endo ist überragend, ein Spieler, der den Unterschied ausmacht“, sagt Hildebrand, der im Frühjahr in Stuttgart das vegane Restaurant „Vhy“eröffnen wird: „Er läuft Räume zu – und ich wünsche dem VFB, dass Endo noch lange hier bleibt.“
Wie damals in der Magath-ära, die immerhin dreieinhalb Jahre dauerte, trägt der Erfolg die Handschrift des Trainers – denn gerade junge Spieler müssen das Vertrauen ihres Umfeldes spüren. „Die Art der Teamführung ist viel wichtiger geworden als früher“, sagt Timo Hildebrand: „Und das macht Pellegrino Matarazzo sehr gut. Er wirkt ruhig und ausgeglichen – und das Wichtigste ist dabei: Er hat die Spieler weiter gebracht.“
Zu meiner Zeit war es noch außergewöhnlich, wenn man mit 20 Bundesliga spielen konnte.
Timo Hildebrand