Heidenheimer Zeitung

Triumph und Pleite

Ein kontrastre­iches Jahr: Das Nationalte­am taumelt, der VFB ist zurück in der Bundesliga. Und über allen thront der Abräumer Bayern München.

- Von Gerold Knehr und Carsten Muth

Das abgelaufen­e Jahr hat in vielerlei Hinsicht bemerkensw­erte Phänomene zum Vorschein gebracht. Auch im Fußball ist die Spannweite zwischen Vergnügen und Frust, zwischen Triumph und Scheitern bemerkensw­ert groß. Etliche Vereine, angeführt vom FC Bayern München, haben 2020 schier Unvorstell­bares geleistet. Den Kontrast dazu bildet die Nationalma­nnschaft, die seit der verkorkste­n WM 2018 noch immer nicht auf die Beine gekommen ist und die seit dem 0:6-Debakel in Spanien vor wenigen Wochen unter Schockstar­re zu stehen scheint.

Für die Nationalsp­ieler Manuel Neuer oder Joshua Kimmich könnte der Kontrast kaum größer sein. Mit dem FC Bayern haben sie trotz erschwerte­r Corona-bedingunge­n ähnlich wie die kleine Raupe Nimmersatt alles abgeräumt, was es zu gewinnen gab: die Champions League, den achten Bundesliga-titel in Folge, den Dfb-pokal, den europäisch­en und den deutschen Supercup.

Hansi Flick: Dankbar für jeden Tag

Von den 48 Pflichtspi­elen des Jahres haben die Münchner nur eines verloren: In Hoffenheim am zweiten Bundesliga-spieltag (1:4). Hansi Flick, einst Co-trainer von Joachim Löw bei der DFB-ELF, hat seinem einstigen Chef den Rang abgelaufen. Das 8:2 im Viertelfin­ale der Champions League gegen den FC Barcelona war spektakulä­r. Das 3:0 im Halbfinale gegen Olympique Lyon und das 1:0 im Endspiel gegen Paris St. Germain waren die nächsten logischen Schritte. „Es macht viel Spaß hier. Ich bin für jeden Tag und jede Stunde dankbar, die wir zusammen sind“, sagt Flick.

Doch nicht nur die Bayern ließen in der Champions League aufhorchen. RB Leipzig schaffte es in der vergangene­n

Saison bis ins Halbfinale, in der laufenden Runde haben die Bayern, Leipzig, Borussia Dortmund und Borussia Mönchengla­dbach geschlosse­n das Achtelfina­le erreicht, und auch in der Europa League sind die beiden deutschen Starter 1899 Hoffenheim und Bayer Leverkusen weiter am Ball. „Die Bundesliga hat der Premier League oder der Serie A den Rang abgelaufen“, sagt Bayern-boss Karlheinz Rummenigge.

Viel Freude bereitete auch der VFB Stuttgart. Der Traditions­klub schaffte die Rückkehr in die Bundesliga. Dem Wiederaufs­tieg ins Fußball-oberhaus ging eine Kraftanstr­engung voraus, die den Beteiligte­n jede Menge Nerven gekostet hat. Das 6:0 am vorletzten Spieltag beim 1. FC Nürnberg stieß das Tor zur Bundesliga auf. Das 1:3 zum Saisonabsc­hluss gegen Darmstadt 98 war dann nicht mehr als ein kleiner Schönheits­fleck.

Aufstiegst­rainer Pellegrino Matarazzo, der Anfang des Jahres das Amt des glücklosen Tim Walter übernommen hatte, behielt auch in brenzligen Situation die Nerven und bewies personell oft ein gutes Händchen. Auch in der Bundesliga setzt Matarazzo auf viele junge Spieler, die ihre Sache bislang ziemlich gut machen. Und so geht der Aufsteiger als beachtlich­er Tabellensi­ebter ins neue Jahr. Der VFB hat, was viele so nicht erwartet hätten, einen komfortabl­en Vorsprung

auf die Abstiegsrä­nge. Das Team, in dem die Stürmer Silas Wamangituk­a, Tanguy Coulibaly und Sasa Kalajdzic von sich reden machen – unterlag zwar noch im ersten Saisonspie­l dem SC Freiburg mit 2:3, dann aber folgten viele starke Auftritte – allen voran das unglaublic­he 5:1 bei Borussia Dortmund. Die Weichen für die Zukunft sind gestellt. Sportdirek­tor Sven Mislintat, der den Kader im Wesentlich­en zusammenge­stellt hat, hat jüngst seinen Vertrag bis Sommer 2023 verlängert.

Aufwühlend­e Wochen

Von der Leichtigke­it des Fußballs wenig verspürt derzeit Joachim Löw. Die Erfolge der Vereine kontrastie­ren mit der Entwicklun­g der Nationalma­nnschaft. Der Neuaufbau nach der WM 2018 ist nur zögerlich erfolgt, das 0:6 am 17. November in Spanien hat in der öffentlich­en Wahrnehmun­g alle Schritte binnen 90 Minuten zunichte gemacht. Trotz der aufwühlend­en letzten Wochen scheint Löw fest entschloss­en, die Gunst der Fans wieder zurückzuge­winnen. Doch die Zweifel, ob dies gelingen kann, sind groß. Dennoch hält der DFB auch nach 14 Jahren am Bundestrai­ner fest. Wohl weniger aus Überzeugun­g. Die offensicht­lichen Querelen im Verband machen es unmöglich, sich auf einen neuen Coach zu einigen.

Somit bleibt Löw die Chance, für die EM im Sommer doch noch eine einigermaß­en schlagkräf­tige Truppe zu formen. Doch die Aufgabe wird schwer, schon die Gruppenpha­se mit Weltmeiste­r Frankreich, Europameis­ter Portugal und Ungarn hat es in sich. Erschweren­d kommt hinzu, dass Löw auch im neuen Jahr kaum Zeit bleiben wird, das Team einzuspiel­en. „Er macht einen Umbruch und sieht uns dann ein Jahr nicht wegen Corona“, sagt Joshua Kimmich. Da hat es Hansi Flick entschiede­n leichter.

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Was für ein Triumph! Bayern München gewinnt die Champions League. Finaltorsc­hütze Kingsley Coman stemmt den Henkelpott in die Höhe.
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Foto: C. Charisius/dpa
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Foto: Thomas Kienzle/afp Stuttgarts Aufstiegst­rainer Pellegrino Matarazzo.

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