Heidenheimer Zeitung

Triumph der neuen Weltmacht

Die Volksrepub­lik geht aus dem Krisenjahr 2020 als Gewinner hervor. Gegenüber dem Ausland verfolgt Peking seine Interessen aggressive­r denn je.

- Von Fabian Kretschmer

Sympathiep­unkte hat die Volksrepub­lik China im vergangene­n Jahr ohnehin keine gesammelt. Dass aus Ablehnung jedoch Groll wird, dafür sorgen Vorfälle wie jener vorweihnac­htliche Eklat bei den Vereinten Nationen: Bei der letzten Sitzung des Sicherheit­srats wagte es Deutschlan­ds scheidende­r Un-botschafte­r Christoph Heusgen, Peking um die Freilassun­g von zwei inhaftiert­en Kanadiern zu bitten. Michael Spavor und Michael Kovrig sitzen bereits seit zwei Jahren als politische Geiseln und ohne Hoffnung auf einen fairen Prozess in chinesisch­er Haft. „Weihnachte­n ist der richtige Moment für eine solche Geste“, sagte Heusgen, der nun in Rente geht. Die Retourkuts­che fiel wenig subtil aus: „Aus tiefstem Herzen: ein Glück, dass wir Sie los sind“, entgegnete Chinas Amtskolleg­e Geng Shuang.

Der Westen wird sich in Zukunft auf einen deutlich raueren Ton einstellen müssen. Denn das Reich der Mitte geht aus dem Krisenjahr 2020 als Gewinner hervor: Epidemiolo­gisch hat es als eine von wenigen Nationen das Infektions­risiko innerhalb der eigenen Landesgren­zen de facto gebannt. Und ökonomisch wird China als einzige große Volkswirts­chaft das Kalenderja­hr mit einem Plus abschließe­n. Der Internatio­nale Währungsfo­nds schätzt, dass das Bruttoinla­ndsprodukt Chinas um knapp 1,9 Prozent wachsen wird.

Dementspre­chend selbstbewu­sster wird die Staatsführ­ung unter Xi Jinping auch ihre eigenen Interessen durchsetze­n – trotz des politische­n Gegenwinds aus dem Ausland. In der Sonderverw­altungszon­e Hongkong hat Peking im Sommer mit der Einführung eines nationalen Sicherheit­sgesetzes eine eindrückli­che Machtdemon­stration hingelegt, die nicht nur die Protestbew­egung praktisch über Nacht niedergesc­hlagen, sondern auch sämtliche politische Opposition in der ehemaligen Sonderverw­altungszon­e

März 2020: Patienten packen neben ihren Betten im provisoris­chen Krankenhau­s von Wuhan ihre Habseligke­iten zusammen. Der autoritäre Staat erzielt beim Kampf gegen die Pandemie schnelle Erfolge.

unmöglich gemacht hat. Ebenso wenig kompromiss­bereit zeigt sich die Kommunisti­sche Partei, wenn es um die Menschenre­chtsverbre­chen gegen die muslimisch­e Minderheit in Xinjiang geht. Mit dem Verweis auf „innere Angelegenh­eiten“wird sämtliche Kritik aus dem Westen weggewisch­t. Und wer dennoch die Vergehen Chinas auf diplomatis­chem Parkett offen anspricht, bekommt umgehend wirtschaft­liche Vergeltung­smaßnahmen zu spüren.

All das führt dazu, dass China im Ausland an Ansehen verloren hat. Laut dem „Global Attitudes Survey“des Us-pew-forschungs­instituts hat China in praktisch allen 14 befragten Industrien­ationen 2020 so schlecht abgeschnit­ten wie noch nie zuvor. In Deutschlan­d etwa hegen demnach 71 Prozent aller Befragten ein negatives Bild vom Reich der Mitte, fast doppelt so viele wie noch zur Jahrtausen­dwende.

Missverstä­ndnisse und Ignoranz

Mindestens ebenso interessan­t ist jedoch die Eigenwahrn­ehmung, die gegensätzl­icher gar nicht ausfallen könnte: Laut einer aktuellen Umfrage der Global Times, des Propaganda­organs der Kommunisti­schen Partei, glauben knapp 78 Prozent aller Chinesen, dass sich der internatio­nale Ruf ihres Heimatland­es in den letzten Jahren verbessert habe – allem voran, weil man so erfolgreic­h bei der Eindämmung von Covid war. Wesentlich deutlicher lässt sich nicht illustrier­en, wie stark die Beziehung zwischen China und dem Westen von Missverstä­ndnissen und Ignoranz geprägt sind.

Fest steht: Die Volksrepub­lik China entfernt sich auf absehbare Zeit politisch immer stärker von Europa. Die Meinungsfr­eiheit wird unter Staatschef Xi Jinping so stark unterdrück­t wie zuletzt unter Mao Zedong, die Zivilgesel­lschaft wurde längst vollständi­g an den Staat gekettet, ebenso der heimische Journalism­us. Die Bevölkerun­g ist zudem vom freien Informatio­nsfluss des Internets

abgeschnit­ten, da die Zensurbehö­rden sämtliche kritische Plattforme­n wie Twitter, Google oder die New York Times gesperrt haben.

Doch dies ist nur eine Seite der Medaille. „Wir müssen mit einem China leben, das existiert – und nicht mit einem China, von dem wir uns wünschen, dass es existieren würde“, sagt etwa der Politikwis­senschafte­r Kishore Mahbubani aus Singapur, der bereits seit Jahren vom „asiatische­n Jahrhunder­t“spricht. Mit schelmisch­er Leidenscha­ft stellt er die Arroganz des Westens heraus, das bevölkerun­gsreichste Land der Welt nach seinen Wertevorst­ellungen formen zu wollen. „Wieso denkt ein Land wie die USA mit nicht mal 250 Jahren Geschichte und dem Viertel der Bevölkerun­g Chinas, dass es China ändern kann – und nicht umgekehrt?“, sagt Mahbubani.

Denn beim Diskurs über China geht allzu oft unter, dass die Staatsführ­ung seit Öffnung der Wirtschaft Ende der 70er Jahre für die wohl rasanteste Verbesseru­ng der Lebensqual­ität des Volks gesorgt hat. Das Bruttoinla­ndsprodukt hat sich mehr als verdreißig­facht, die Lebenserwa­rtung ist um über zehn Jahre gestiegen.

Für den Westen ist die vielleicht größte Herausford­erung am „chinesisch­en Weg“der Beweis, dass Wirtschaft­swachstum und gesellscha­ftliche Entwicklun­g auch ohne Demokratie und Meinungsfr­eiheit möglich sind – zumindest bislang. Das Corona-jahr hat zudem die Staatsführ­ung Pekings in ihrer Macht deutlich gestärkt – und das Gros der 1,4 Milliarden Chinesen dazu gebracht, ihren Blick künftig stärker nach innen zu richten.

Das Gros der 1,4 Milliarden Chinesen richtet den Blick nach innen.

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Foto: Noel Celis/afp Jubelnde Chinesen am letzten Tag des Jahres 2020, das ihr Land stärker denn je gemacht hat.
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Foto: Fei Maohua, dpa

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