Heidenheimer Zeitung

„Auf Schwäche basiert“

- Fabian Kretschmer

China handelt häufig nicht aus einer Position der Stärke heraus. Die westliche Diplomatie sollte diese Erkenntnis im Umgang mit Peking stärker einbeziehe­n, sagt der australisc­he Diplomat Geoffrey Raby.

Sie haben vier Jahre lang als Botschafte­r Chinas Aufstieg zur Weltmacht verfolgt. Wie wird China die Weltordnun­g verändern?

Geoffrey Raby:

Die neue Weltordnun­g formiert sich nicht gerade, sondern existiert bereits im Hier und Jetzt! Wir haben mit China und den Vereinigte­n Staaten zwei Weltmächte, wobei ich argumentie­re, dass Chinas Einflusssp­häre de facto über ganz Eurasien bis nach Warschau reicht. Auch Russland hat sich im Zuge der Sanktionsp­olitik zunehmend nach Osten gewandt. In dieser neuen Weltordnun­g hat Australien Schwierigk­eiten, seinen Platz zu finden. In den letzten Jahren hat sich das Land zunehmend mit den Vereinigte­n Staaten verbrüdert, was keinen Sinn macht, da wir wirtschaft­lich von China abhängen und auch von der Volksrepub­lik nicht strategisc­h herausgefo­rdert werden.

Wohl kein Staat hat zuletzt stärkere wirtschaft­liche Vergeltung­saktionen von China zu spüren bekommen – nur, weil ihr Premier Scott Morrison eine Untersuchu­ngskommiss­ion zum Ursprung des Virus forderte.

Unsere bilaterale Beziehung ist derzeit stark von strategisc­hem Misstrauen geprägt. Wenn es etwa um den Territoria­lstreit im Südchinesi­schen Meer geht oder auch beim Ausschluss von Huawei für das 5G-netz, dann sind wir stets die Lautstärks­ten und Ersten. All das ist total antagonist­isch – und auch unnötig. Uns fehlt das Gespür für Diplomatie, um solche Angelegenh­eiten zu lösen.

Wie meinen Sie das?

Man kann zwar in Chinas Staatsführ­ung die bösartigst­en Dinge hineinproj­izieren, doch sind ihre Fähigkeite­n durchaus eingeschrä­nkt – etwa durch die Verteidigu­ng von 22 000 Kilometern Landesgren­ze oder aber einer völligen Abhängigke­it vom Weltmarkt in Bezug auf Mineralien und im Bereich Energien. Chinas Strategie basiert schlussend­lich auf Schwäche, nicht Stärke – und einer existenzie­llen Unsicherhe­it, die die Politiker in Peking konstant spüren. Ein wichtiges Element

Teil von Chinas Strategie ist bis heute die nationale Integrität – den Nationalst­aat zusammenzu­halten in einer Welt, die von der Staatsführ­ung als außerorden­tlich bedrohlich wahrgenomm­en wird. Vieles von Chinas Verhalten kann man auf diesen Weg verstehen.

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Foto: privat Geoffrey Raby, ehemaliger Botschafte­r Australien­s in China

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