Hilfe und Aufklärung
Die Beratungsstelle Release in Stuttgart wird dieses Jahr 50 Jahre alt. Sie unterstützt Süchtige und informiert über die Risiken von Rauschgiftkonsum.
Vor 50 Jahren waren harte Drogen Teil der westlichen Jugend- und Protestbewegung. Junge Menschen wollten mit Heroin, LSD, Haschisch oder Kokain aus ihrem Trott ausbrechen und die Welt verändern. Viele blieben an der Nadel hängen. Doch für Junkies gab es keine Hilfe. Sie galten als Kriminelle.
Heute wird Sucht als Krankheit betrachtet. „Wir haben ein sehr gutes medizinisches Versorgungssystem und soziales Netz“, sagt Faruk Özkan. Bei Release Stuttgart betreuen 30 Sozialarbeitende rund 2100 Ratsuchende im Jahr. Der Verein feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen. Vorbild war eine Selbsthilfeorganisation in London.
Berater Özkan kümmert sich vor allem um Migranten. Er war 1999 der erste Drogenberater für türkischstämmige Suchtkranke in Baden-württemberg. „Es war wichtig, für sie muttersprachliche Konzepte zu entwickeln.“Die betroffenen Jugendlichen oder deren Eltern waren skeptisch gegenüber deutschen Einrichtungen. Hinzu kamen Sprachprobleme. Der Zoff zu Hause oder die Frage, ob die Tochter nach der Therapie eine eigene Wohnung haben kann, war leichter in Türkisch besprochen.
„Heute gibt es bundesweit viele muttersprachliche Beratungsund Therapieangebote“, berichtet Özkan. Sie werden noch immer
gerne von Angehörigen aufgesucht. „Um einen Ausweg aus Problemen zu suchen, wenden sich zuerst überwiegend die Mütter an die Beratungsstelle und möchten muttersprachlich betreut werden.“Meist sind es Söhne, die zu viel kiffen oder harte Drogen nehmen.
Der Sozialarbeiter kümmert sich zudem um Geflüchtete. Die meist jungen Männer lenken sich mit Drogen vom Kulturschock ab – oder von der Schwierigkeit, eine Ausbildung oder Arbeit zu finden. Oft ficht Özkan einen zähen Kampf mit Behörden. Geflüchtete bekommen selten eine Therapie. Zudem klärt Release mit Infoständen in türkischen Vereinen und Moschee-gemeinden über Medikamentenmissbrauch auf: „Viele Ältere sind von Schmerzmitteln und Anti-depressiva abhängig.“
Auch in der Drogentherapie hat sich in einem halben Jahrhundert
einiges geändert. Neben der nach wie vor wichtigen Abstinenz hat sich der kontrollierte Konsum in den Fokus geschoben. „Rein abstinenzorientierte Suchtarbeit hatte bei vielen Klienten keinen Erfolg.“Sie brachen ihre Therapie ab. Heroin-abhängige können heute an Programmen mit der Ersatzdroge Methadon teilnehmen.
Release bietet der Party-szene Broschüren zum „Safer Use“von Rauschmitteln, informiert über synthetische Drogen und „Legal Highs“, hilft Menschen, ihren Cannabis-konsum zu kontrollieren und hält Vorträge in Firmen und Schulen. „In Stuttgart wird es einen Drogenkonsumraum geben, den Release und die Caritas Stuttgart betreuen werden“, sagt Release-geschäftsführer Bernd Klenk über Zukunftspläne. Dort können Abhängige ihren Schuss unter hygienischen Bedingungen setzen. „Menschen haben zu allen Zeiten Drogen genommen und werden das auch weiterhin tun“, sagt Klenk. Die einen suchten Entspannung, andere einen Kick, Betäubung oder Ekstase.
Release berät laut Klenk auch Menschen, die gar nicht süchtig sind. Für Leute, die aus Neugier Drogen ausprobierten, gibt es etwa Infos über Gefahren. „Wir unterstützen zudem Menschen, die erste Probleme in Ausbildung, Schule oder mit dem Gesetz haben oder Menschen, die bereits regelmäßig konsumieren, bei denen aber noch viele Bereiche des Lebens ‚funktionieren‘.“Rat suchen auch Eltern, Geschwister und Freunde.
Heroin kehrt zurück
Die Rauschmittel sind heute oft andere als in den 70ern. Junge Leute stehen auf Speed oder Liquid Ecstasy. Sie experimentieren mit Designer-drogen, die als Badesalze, Kräutermischungen oder synthetische Cannabinoide teils das gesetzliche Verbot umschiffen. Nach wie vor beliebt sei Cannabis, und zwar bei Alt und Jung. „Heroin verlor eine Zeitlang an Bedeutung“, sagt Klenk. „Dann kam die Opioid-abhängigkeit durch den millionenfachen Missbrauch des Schmerzmittels Oxycodon in den USA zurück.“
Politisch kämpft der Verein Release weiter für die Entkriminalisierung der Konsumierenden – und hofft, dass dies nicht weitere 50 Jahre dauert.