Gemeinsam wachsen
In Europa und Amerika werden ostafrikanische Künstler wie Michael Armitage bereits gefeiert. Doch in ihren Heimatländern müssen sie um Anerkennung kämpfen.
Das Haus der Kunst steht imposant inmitten von München. Plakate der Ausstellung „Paradise Edict“des Künstlers Michael Armitage, der binnen kürzester Zeit zu einem der aufregendsten jungen zeitgenössischen Maler geworden ist, bewarben die Eröffnung im September. Doch in Armitages Heimat Kenia hält sich die Kunst bedeckt. Das Künstlerkollektiv Brushtu ist in einem unscheinbaren Haus hinter einem hohen Tor östlich von Nairobis Zentrum nur schwer zu finden. Nicht einmal ein Namensschild gibt es. „Wir wollen keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen“, sagt der 29-jährige Emmaus Kimani.
Afrikanische Gegenwartskunst bekommt weltweit zunehmend Aufmerksamkeit und Anerkennung. Der Südafrikaner William Kentridge ist mit seinen multimedialen Werken schon lange ein Liebling der internationalen Kunstszene. 2019 füllten gigantische Werke des Ghanaers El Anatsui das Haus der Kunst. Immer mehr finden auch ostafrikanische Künstler Beachtung, von Peterson Kamwathi und Wangechi Mutu bis zu Michael Armitage und Jackie Karuti. Das 2017 eröffnete Zeitz Museum of Contemporary African Art in Kapstadt, das die die Sammlung von Ex-puma-chef Jochen Zeitz zeigt, hat diese Entwicklung befeuert.
Doch für die meisten ostafrikanischen Künstler bleibt das ein Traum. In ihren Heimatländern haben viele mit fast unüberwindbaren Hindernissen zu kämpfen – von mangelnden Institutionen bis zu politischer Repression. Dass das kulturelle Erbe seiner Heimat nicht leicht zugänglich ist, ist aus Armitages Sicht das wohl größte Problem. „Wir haben keinen Ort, an dem man Kunstgeschichte sehen kann“, sagt er über Kenia. Als aufstrebender Künstler „kannst du nicht lernen und verstehen, in wessen Fußstapfen du trittst“. In Nairobi gibt es an staatlichen Institutionen neben der Nairobi Gallery, in der Artefakte verstauben und Anzeigen vergilben, nur das National Museum, das ab und an Kunstausstellungen zeigt. „Nicht anzuerkennen, dass es eine Kunstgeschichte in der Region gibt, in Kenia und außerhalb, erweist allen einen schlechten Dienst und entspricht nicht der Wahrheit“, sagt Armitage.
Dagegen setzt er mit dem Haus der Kunst ein Zeichen. Neben seinen Gemälden werden Werke älterer ostafrikanischer Künstler ausgestellt, die Armitage beeinflusst haben – eine Seltenheit bei Solo-ausstellungen. „Wir meinen nicht, eine ganze Geschichte repräsentieren
zu wollen“, sagt der künstlerische Leiter, Andrea Lissoni. „Doch die Geschichte ist stark, und das bisschen, das wir tun können, ist es, den Künstlern diesen Platz zu geben.“
Doch die Problematik für aufstrebende Künstler in Kenia hat tiefere Wurzeln. „Kultur und Kunst existieren in der Peripherie“der Gesellschaft, sagt Peterson Kamwathi, der sich mit seinen politischen Werken internationales Renommee erarbeitet hat. Auch der jüngere Emmaus Kimani hat mit der mangelnden Anerkennung in der Gesellschaft zu kämpfen. Er habe seinen Eltern lange nicht sagen können, dass er Künstler werden wolle.
Da es in Kenia von oben kaum Unterstützung gibt, kommt sie stattdessen von unten – etwa von Kollektiven wie Brushtu. Diesem gehören zwölf Künstler und Künstlerinnen an, die in dem Studio arbeiten und ausstellen können. „Gemeinsam sind wir stärker“, erklärt Kimani. Das Kollektiv bietet Ausstellungen und Bildungsmöglichkeiten an. Brushtu ist eine treibende Kraft in dem Kampf, zeitgenössischer Kunst mehr Gehör zu verschaffen. „Dies ist das Wichtigste und Wirkungsvollste, was Nairobis Kunstszene zu bieten hat“, sagt Kimani. „Es wäre sehr schwer, ohne das zu überleben.“
Diesen Wandel will Armitage mit dem Nairobi Contemporary Art Institute (NCAI) verstärken. Die gemeinnützige Einrichtung hat zum Ziel, mit einer Ausstellungsfläche, einer Bibliothek, einem Archiv und Programmen Kunst zu fördern und Ostafrikas Kunstgeschichte zu bewahren sowie zugänglich zu machen. Zudem unterstützen ausländische Institutionen wie das Goethe-institut Künstler. Und Galerien wie die Circle Art Gallery, die inzwischen bei internationalen Kunstmessen vertreten sind, befeuern den Erfolg und das Interesse.
Wir können uns nicht ständig zum Westen wenden. Peterson Kamwathi Kenianischer Künstler
Bildung als Voraussetzung
Doch das reicht nicht aus, um die Kunstszene in Ostafrika zu verwandeln. Galerien und Sammler seien „wichtig und transformativ“, sagt Kamwathi. „Aber wir können uns nicht ständig zum Westen wenden, um infrastrukturelle Unterstützung zu bekommen.“Zudem sei die Reichweite von privaten Institutionen limitiert. Der Wandel müsse im öffentlichen Raum stattfinden – zunächst in der Bildung. Auch muss sich trotz des steigenden Interesses international noch viel tun. „Es gibt noch nicht genug geteiltes Wissen über Ostafrika“, sagt Lissoni vom Haus der Kunst. „Da ist eine ganze Welt, die nicht ‚entdeckt‘, sondern anerkannt werden muss.“