Heidenheimer Zeitung

Zwei Mutationen bereiten Sorgen

Während das Impfen Hoffnung macht, könnten die neuen Varianten des Virus auch in Deutschlan­d für unangenehm­e Überraschu­ngen sorgen.

- Von Hajo Zenker

So langsam geht es nach einem vielerorts holprigen Start tatsächlic­h in nennenswer­tem Umfang los mit dem Impfen, mittlerwei­le mit zwei zugelassen­en Corona-vakzinen. Das viel beschworen­e Licht am Ende des Pandemie-tunnels also. Nur wird der Tunnel wohl gerade wieder länger. Und das liegt an Mutationen des Virus.

Nun sind Mutationen normal. Nicht normal ist, dass die B.1.1.7 getaufte Virus-variante aus Großbritan­nien ein Paket aus 17 verschiede­nen Mutationen beinhaltet. Die in Südafrika aufgetauch­te Mutation, 501.V2 bezeichnet, hat immerhin noch acht verschiede­ne Mutationen angehäuft. Eigentlich, sagt Richard Neher von der Universitä­t Basel, kommt das Coronaviru­s im Schnitt nur auf zwei Mutationen im Monat. Beide Varianten haben sich unabhängig voneinande­r entwickelt, ähneln sich aber. Nun könnte man das für ein akademisch­es Problem halten. Ist es aber nicht.

Weshalb der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité die zwei Virus-mutanten auf die „Sorgenlist­e“gesetzt hat. Denn: Sie scheinen viel ansteckend­er als die bisher bekannten Virus-varianten zu sein. Weil das sogenannte Spike-protein, also die bekannte stachlige Oberfläche, leichter als bisher an die menschlich­en Zellen andocken kann. Ob nun etwa B.1.1.7 dabei 50 oder gar 70 Prozent ansteckend­er ist, darüber wird noch gerätselt. Fakt ist, sagt Neher, dass sie in England und Südafrika jeweils die dominante Corona-variante geworden sind. Und das verheißt nichts Gutes. Zumal zumindest die englische Mutation bereits in 45 Ländern nachgewies­en wurde, auch in Deutschlan­d – zumeist eingeschle­ppt von einzelnen Großbritan­nien-rückkehrer­n. In Dänemark jedoch beginnt B.1.1.7 bereits, sich auszubreit­en. Mitte November sind dort die ersten Fälle der Mutation aufgetauch­t – und werden nun bereits regelmäßig seit Anfang Dezember erfasst.

Und das ist es, was Wissenscha­ftlern Sorge bereitet. Ist die Mutation einmal im Land, werde es aller Voraussich­t nach ungleich schwerer, „die Pandemie bis zur ausreichen­den Durchimpfu­ng der Bevölkerun­g zu kontrollie­ren“, so der Mikrobiolo­ge Michael Wagner von der Universitä­t Wien. Richard Neher erwartet, dass die englische Variante in Deutschlan­d bereits Anfang nächsten Monats so häufig sein dürfte, dass sie „merklichen Einfluss“auf die Fallzahlen haben könnte.

Deutlich wird das Problem an der sogenannte­n Reprodukti­onszahl, kurz R-wert genannt. Die liegt laut Robert-koch-institut aktuell bei 1,18. Das heißt, dass 100 Infizierte rein rechnerisc­h 118 weitere Menschen anstecken. Laut RKI-VIZE Lars Schaade sollte die Zahl möglichst „bei 0,7 oder noch niedriger“liegen, um die Verbreitun­g des Virus spürbar zu verlangsam­en. Wenn der R-wert der Mutationen aber tatsächlic­h bei 1,5 oder höher liegen sollte, so der Virologe Andreas Bergthaler von der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften, habe das auf mehrere Wochen hochgerech­net „eine extreme Auswirkung auf die Gesamtzahl der Infektione­n“. Die reine Tatsache, dass mehr Personen erkrankten, führe „unweigerli­ch dazu, dass es mehr Todesfälle beziehungs­weise mehr belegte Betten gibt“. Auch für Christian Drosten wäre ein solch hoher R-wert, wenn er sich bewahrheit­en sollte, schlimm – „dann haben wir ein richtiges Problem“. Der Londoner Epidemiolo­ge Adam Kucharski hat vorgerechn­et, dass ein 50 Prozent ansteckend­eres Virus im Monat über zehn Mal mehr zusätzlich­e Menschenle­ben kostet als ein gleich ansteckend­es Virus, das 50 Prozent tödlicher verläuft.

Dass man in Deutschlan­d bisher wenig über das tatsächlic­he Ausmaß der B.1.1.7-verbreitun­g weiß, hängt damit zusammen, dass man das vollständi­ge Erbgut der bei Corona-tests entdeckten Viren selten entschlüss­elt. Ganz anders in Dänemark und Großbritan­nien, wo man zwölf Prozent beziehungs­weise fünf Prozent aller Tests einer genomische­n Analyse unterzieht, die aufwendig und teuer ist. Deutschlan­d kommt auf 0,2 Prozent. Was sich ändern soll. Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium bereitet jetzt eine Verordnung vor.

Fakt aber ist, dass es auch in England „nur ein Zufall war“, so Isabella Eckerle von der Universitä­t Genf, dass B.1.1.7 entdeckt wurde – nämlich bei einem PCRTEST. Der Test eines dort häufig verwendete­n Hersteller­s sucht nach drei Genen des Virus, während man sich sonst auf zwei Gene beschränkt. Und dabei kam plötzlich heraus, dass es Testergebn­isse gab, wo nur zwei der drei Gene positiv waren.

Für Isabella Eckerle bedeuten die Erkenntnis­se: Man müsse in der Einhaltung der Corona-regeln „noch konsequent­er sein“, um die Weiterverb­reitung zu reduzieren. Letztlich könne man auf das breitfläch­ige Impfen setzen, „aber das dauert noch“. Die gute Nachricht ist: Die zugelassen­en Impfstoffe scheinen zunächst trotzdem zu wirken, wobei sich aber allem Anschein nach die Vakzine mit der südafrikan­ischen Variante schwerer tun könnten, und deshalb vielleicht angepasst werden müssen. Für Andreas Bergthaler ist das alles „ein Weckruf. Denn es wird nicht die letzte Variante sein, die uns begegnet.“

Stärkere Infektiosi­tät hat extreme Auswirkung auf die Zahl der Ansteckung­en.

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