Heidenheimer Zeitung

„Zuhörer mit Musik glücklich machen“

Die aus Lettland stammende und mittlerwei­le internatio­nal gefeierte Iveta Apkalna spielte schon vor Papst Johannes Paul II. und ist ein Star der Elbphilhar­monie.

- Von Burkhard Schäfer

Die Orgel ist 2021 das „Instrument des Jahres“. Zu den internatio­nal gefeierten Virtuosinn­en gehört Iveta Apkalna, nicht zuletzt durch ihre Konzerte als Titularorg­anistin der Hamburger Elbphilhar­monie. Ihr Herkunftsl­and Lettland hat die 44-Jährige stark geprägt, die „singende Revolution“zu Beginn der 90er Jahre erlebte sie hautnah.

Sie sind in der lettischen Stadt Rēzekne geboren. Wie hat diese Herkunft Ihre musikalisc­he Laufbahn beeinfluss­t?

Iveta Apkalna:

Ich hatte das große Glück, als Lettin geboren zu werden. (lacht). Denn bei uns wird es einem quasi bereits an der Wiege gesungen, dass wir die Musik lieben. Als lettische Musiker merken wir durch die Musik sehr schnell: Das bin ich. Und daraus folgt, dass wir uns ziemlich früh für eine profession­elle Musikausbi­ldung entscheide­n. Mir ging das genauso.

Wie haben Sie Ihre Ausbildung erlebt?

Alle Lehrer, die mich unterricht­eten, arbeiteten mit mir perfekt zusammen. Ich bin, was meinen Lebensweg betrifft, ein sehr dankbarer Mensch, auch an den kritischer­en Stellen, wo etwas hätte scheitern können – was aber nie passiert ist. Ich wusste schon mit acht Jahren, dass ich mein Leben lang Musik machen möchte. Als ich zu der Zeit ein Mozart-konzert spielte, fühlte ich das erste Mal diese Glückshorm­one, was es bedeutet, wenn man in einem großen

Auf meinem

Weg war es nicht immer nur sonnig.

Saal die Zuhörer mit seiner Musik glücklich machen kann.

Gab es zwischendu­rch auch Schwierigk­eiten?

Natürlich habe ich mir immer wieder einmal eine blutige Nase geholt, denn es war auf meinem Weg nicht immer nur sonnig. Aber die Menschen, die mich an die Hand nahmen, habe ich in mein Herz geschlosse­n, mit ihnen werde ich meinen Traum weiterlebe­n. Ich freue mich immer, wenn ich einige dieser Weggefährt­en in meinen Konzerten oder in einer Wettbewerb­s-jury wiedersehe. Das ist fasziniere­nd zu sehen, wie toll ein Musiker-leben sich entwickeln kann.

Wie hat die Freiheit die Musikszene verändert?

Damals, zur sowjetisch­en Zeit Lettlands, war überhaupt nicht abzusehen, dass ich außerhalb der vorgegeben­en Grenzen musikalisc­h einmal werde wirken können. Alle Balten, die – genau wie ich – die „singende Revolution“hautnah miterlebte­n, tragen ein ganz besonderes Bild davon im Kopf. Wir können – und wollen – dieses Bild nie ausradiere­n! Für uns als Musiker war es plötzlich möglich, im Ausland zu studieren.

Ich wäre nie Organistin geworden, wenn Lettland 1990 nicht unabhängig geworden wäre. Und ich hätte nie mit 16 Jahren für Papst Johannes Paul II. gespielt, wenn die Grenzen weiter so geschlosse­n geblieben wären. Insgesamt gesehen, war die „singende Revolution“ein Komet, der durch die Welt raste. Das hat wirklich ein Zeichen gesetzt.

Haben Sie das Gefühl, unter Ihren vielen männlichen Organisten-kollegen als Frau nun seit Jahren die Orgelszene durcheinan­derzuwirbe­ln?

In Lettland dominieren wir Frauen die Orgelszene sowieso. (lacht) Für uns wäre also eher die Frage, warum woanders die Männer die

Orgelszene dominieren. Ich konnte im Alter von acht Jahren nicht einmal erahnen, dass ich eines Tages die Gelegenhei­t bekommen würde, eine Orgeltaste zu berühren, weil damals das kirchlich-musikalisc­he Leben zu Sowjetzeit­en stillstand. Ungefähr bis zum sechzehnte­n Lebensjahr wurde mir innerhalb der Familie sogar verheimlic­ht, dass meine beiden Großväter Organisten gewesen waren. Meine Eltern hatten Angst, dass ich das als Kind in der Schule ausplauder­n könnte, das hätte Ärger nach sich gezogen. Somit ist also etwas zutage getreten, was schon in meinen Genen angelegt war. Doch man konnte das Schicksal oder wie auch immer man es nennen mag, nicht unterdrück­en. (lacht)

Sie beherrsche­n ja auch das Klavierspi­el. Wie sehen Sie das Verhältnis von Klavier und Orgel?

Bis ich mich zwischen Klavier und Orgel endgültig entschied, habe ich beide Instrument­e mehr als zehn Jahre parallel gelernt. Ich bin davon überzeugt, dass, wenn man ein guter Organist sein will, man erst einmal ein sehr guter, ja exzellente­r Klavierspi­eler sein muss. Und jedes Mal, wenn ich diesem Phänomen im Leben begegne, sei es als Jurymitgli­ed oder im Gespräch mit jungen Organisten, kann ich sofort sagen, ob jemand noch nie vorher Klavierunt­erricht

genommen hatte. Es stimmt tatsächlic­h: Die Orgel ist so viel mehr.

Was wünschen Sie sich in Sachen Orgel für die Zukunft?

Ich habe mit meiner Sturheit, die ich aus der Region Lettgallen mitgebrach­t habe, immer darauf bestanden, dass die Orgel ein Konzertins­trument ist und in Konzerten zu hören sein soll. Die Orgel soll wieder mehr gesehen und respektier­t werden. „Gesehen“meine ich im wortwörtli­chen Sinne, denn man nimmt besser wahr, was man mit seinen Sinnen hört und sieht. Genau dafür habe ich immer mein Bestes gegeben.

Man hat Sie auch einmal als „das schwarze Schaf der Orgelszene“bezeichnet.

Natürlich hat es mich im Laufe meiner Karriere innerlich sehr getroffen, wenn solche Dinge über mich gesagt wurden. Aber ich habe an mein Instrument geglaubt und weitergema­cht. Und das hat sich ausgezahlt. Früher war die Orgel sogar ein Entertainm­ent-instrument. Im alten Griechenla­nd und antiken Rom wurde sie open air in riesigen Arenen gespielt. Erst später, im Mittelalte­r, kam es zur kirchliche­n Fokussieru­ng der Orgel. Deshalb vertrete ich die Meinung: Man darf alle Instrument­e, egal ob kleine Flöte oder große Orgel, überall spielen und hören. Jetzt ist die Orgel wieder mehr ins öffentlich­e Bewusstsei­n gerückt – und das ist gut. Denn die Orgel lebt und gehört dazu.

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Foto: Ko-cheng Lin Iveta Apkalna wusste lange nicht, dass ihre beiden Großväter Organisten waren.

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