Heidenheimer Zeitung

Nur noch Covid im Blick?

Es gibt auch noch andere Krankheits­erreger als das Coronaviru­s: Viele davon wurden im vergangene­n Jahr aber deutlich seltener registrier­t.

- Von Gisela Gross

Die letzte Erkältung? Eine dunkle Erinnerung. Und selbst das Kind, das ständig kränkelte, ist auffällig lange am Stück gesund. Solche Beobachtun­gen machten viele während und nach dem Lockdown im vergangene­n Frühjahr. Damals konnte man sich noch fragen: Ist das nur Einbildung? Hört man vielleicht aus Sorge vor Corona mehr in sich hinein oder weiß Symptomfre­iheit erst jetzt richtig zu schätzen?

Mittlerwei­le ist 2020 vorbei und Wissenscha­ftler haben erste Bilanzen gezogen. Sie scheinen die Beobachtun­gen des Frühjahrs zu bestätigen: „Die Fallzahlen von vielen anderen Infektions­krankheite­n sind während der Covid-19-pandemie im Vergleich zu den Vorjahren zurückgega­ngen“, teilt Sonia Boender vom Fachgebiet Surveillan­ce am Robertkoch-institut (RKI) mit. Nicht nur zu Covid-19, auch zu vielen anderen Leiden laufen dort die Daten zusammen.

Um mögliche Pandemie-effekte zu untersuche­n, stellten die Rki-experten eine Analyse zu relevanten meldepflic­htigen Krankheite­n an, von Tuberkulos­e über Salmonello­se bis zu Hepatitis E. Zwischen März und Anfang August

2020 wurden demnach knapp 140 000 solcher Nicht-covid-19fälle gemeldet. Das entspreche einem Rückgang um 35 Prozent verglichen mit dem Wert, der anhand der Vorjahre zu erwarten gewesen wäre. Mögliche jährliche Schwankung­en und Trends seien berücksich­tigt worden.

85 Prozent weniger Masern

Besonders stark rückläufig waren der Analyse zufolge Atemwegsun­d Magen-darm-erkrankung­en. Sexuell übertragba­re Infektione­n gingen weniger stark zurück. Aus Expertensi­cht gibt es nicht den einen Grund für das Sinken der Zahlen. Dies sei von mehreren Faktoren abhängig, erregerspe­zifisch und nicht allein mit Datenanaly­se zu erklären, erläutert Boender. Aber: Sicherlich hätten auch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie einen Einfluss gehabt. Abstandsre­geln, Kontaktbes­chränkunge­n und Handhygien­e hätten insbesonde­re die Mensch-zu-mensch-übertragun­g von Erregern von Atemwegsun­d Magen-darm-krankheite­n verhindert.

Der Gesamtrück­gang betraf laut RKI alle Altersgrup­pen und war bei Kindern bis 14 Jahre und Senioren über 80 am stärksten.

Krankheite­n wie Windpocken und Keuchhuste­n traten laut der Auswertung im Untersuchu­ngszeitrau­m weniger als halb so oft auf wie erwartet. Bei Masern fällt das Minus mit 85 Prozent besonders dick aus. Der Epidemiolo­ge Rafael Mikolajczy­k von der Martin-luther-universitä­t

Halle-wittenberg erklärt, dass er bei Masern aber weniger den Effekt in den Corona-einschränk­ungen suchen würde. Starke Schwankung­en von Jahr zu Jahr sind bei Masern üblich. Auch schon Anfang 2020 seien die Zahlen niedrig gewesen.

Dass die bekanntlic­h sehr reisefreud­igen Deutschen wegen der Pandemie weniger in die Ferne schweifen konnten, macht sich laut Expertin Boender ebenfalls bemerkbar: Dadurch seien weniger Krankheite­n wie Denguefieb­er und Malaria beobachtet worden, die sonst bei Reiserückk­ehrern diagnostiz­iert werden, erklärte sie.

Bei Meldezahle­n ist immer zu berücksich­tigen, dass diese nicht nur von den tatsächlic­hen Erkrankung­en abhängen, sondern zum Beispiel auch vom Gang zum Arzt und von Tests. Schon im Frühjahr des vergangene­n Jahres hatte sich gezeigt, dass der erste Lockdown der Grippewell­e ein verfrühtes Ende bereitete. Auch im Herbst und Winter 2020 sind Erkältunge­n, akute Atemwegser­krankungen und Influenza nach den bislang verfügbare­n Daten seltener vorgekomme­n als in den Vorjahren.

Abstandsre­geln, Handhygien­e und weniger Kontakt machen es auch Windpocken schwer.

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