Heidenheimer Zeitung

Auftakt furioso

„Ernani“als Stream eröffnete das kulturelle Jahr als Ersatz für das wegen Corona nicht mögliche Neujahrsko­nzert. Bei aller Klasse weckt er dennoch den Wunsch nach einer baldmöglic­hsten Rückkehr zum Live-erlebnis

- Von Marita Kasischke

Üblicherwe­ise eröffnet ein schwungvol­les Neujahrsko­nzert das kulturelle Jahr bei der Stadt Heidenheim. Corona machte dies unmöglich, aber sang- und klanglos wollte die Stadt ihre Bürger denn doch nicht ins neue Jahr schicken. Als Ersatz gab es Verdis „Ernani“, die gefeierte Inszenieru­ng der Opernfests­piele aus dem Jahr 2019, die auch als CD Furore macht. Und die – oder besser gesagt: die Aufzeichnu­ng derselben – bot die Stadt als Stream an der am Samstag Premiere hatte.

Ein Geschenk

„Ein Geschenk für Sie“, wie Festspield­irektor Marcus Bosch in seiner Video-begrüßung sagte, denn der Stream war kostenlos zur Verfügung gestellt worden. Freilich folgte auch ein Spendenauf­ruf, doch nicht zugunsten der Stadt, sondern für die Mitglieder der Cappella Aquileia, die als Folge der Pandemie finanziell stark beeinträch­tigt sind und die „ihre Entscheidu­ng, Musiker geworden zu sein, nicht revidieren sollen“, so Marcus Bosch.

Direkt im Wald

Und dann stand der Zuschauer direkt im Wald – im Wald von „Ernani“, in dem Liebe, Action und Spannung gleicherma­ßen angesiedel­t sind. So minimalist­isch Bühnenbild und Kostüm auch angelegt sein mögen in dieser Inszenieru­ng,

sind sie doch so effektvoll, dass selbst im Stream und ohne Live-erlebnis eine Sogwirkung

entsteht und der Zuschauer sogleich mittendrin ist im Geschehen. Gleiches gilt für die Inszenieru­ng,

die abermals beweist, dass Opern alles andere als angestaubt umgesetzt werden können.

Pep und Pointen geben sich hier die Hand und die Spannung reißt niemals ab. Und dann die wunderbare Musik! Cappella Aquileia unter der Leitung von Marcus Bosch, die Solisten, vor allem Leah Gordon als Elvira schaffen es doch tatsächlic­h, Gänsehaut hervorzuru­fen – und das ist ja bei einer Konserve gar nicht so leicht herzustell­en. Apropos Konserve: Der Filmmitsch­nitt der Inszenieru­ng ist an dieser Stelle auch einmal zu rühmen. Denn das Geschehen auf der Bühne so aufzunehme­n, dass der Zuschauer immer bei der Stange gehalten ist, das ist gar nicht so einfach. Gut, dass hier auch Profis am Werk waren.

Verstärkte Sehnsucht

Zweimal konnten einem bei Genuss des Streams fast die Tränen in die Augen treten: einmal beim Anblick des voll besetzten Congress-centrums, für 2019 eine Selbstvers­tändlichke­it, heute eine große Sehnsucht, noch verstärkt durch die Bilder in der Pause, die das Pausengesc­hehen vor Corona im Schloss zeigten. Und zum anderen beim Wiedersehe­n mit dem Tschechisc­hen Philharmon­ischen Chor Brünn. Nicht nur, dass wiederzuer­leben war, wie souverän die Sängerinne­n und Sänger Virilität mit Virtuositä­t vereinen, dazu kam, dass der Chor via Chat seine besten Neujahrswü­nsche an Heidenheim übermittel­te. Auch er, so hieß es, hoffe auf ein Wiedersehe­n im

Sommer 2021. Viele haben „Ernani“bereits live gesehen, einige haben die Aufzeichnu­ng auch im Autokino genossen. Und doch war dieser Stream in der Tat ein Geschenk: Wenn auch dieser Film kein gleichwert­iger Ersatz für das Live-erlebnis sein kann, so zeigt er doch deutlich, was hier in Heidenheim schon Großes auf die Bühne gebracht wurde, und er verstärkt den Wunsch, dass das doch möglichst bald wieder zu erleben sein möge.

Wunsch nach Normalität

Fazit also nach diesem etwas anderem Neujahrsko­nzert: Das nächste Mal bitte wieder Radetzkyma­rsch. Und das geht nicht gegen „Ernani“oder die Streammögl­ichkeit, und es soll auch den berühmten Marsch nicht erheben, sondern es bedeutet einfach den großen Wunsch nach Normalität. So wie sie 2019 ganz als Selbstvers­tändlichke­it zu genießen war. So selbstvers­tändlich, wie sie wieder werden soll. Ein Wunsch furioso, um es mit dem Motto des abgesagten Neujahrsko­nzerts zu sagen.

 ?? Foto: Oliver Vogel ?? Gänzlich anders, und am Bildschirm dennoch ein Genuß: die gestreamte Oper „Ernani“, die als Ersatz für das abgesagte Neujahrsko­nzert diente, und als Hoffnung, dass in absehbarer Zeit wieder ein Live-erlebnis möglich sein wird.
Foto: Oliver Vogel Gänzlich anders, und am Bildschirm dennoch ein Genuß: die gestreamte Oper „Ernani“, die als Ersatz für das abgesagte Neujahrsko­nzert diente, und als Hoffnung, dass in absehbarer Zeit wieder ein Live-erlebnis möglich sein wird.

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