Spaß, Teamgeist und System
Die Norweger haben die besseren Rahmenbedingungen. Der deutsche Nachwuchs-chef Zibi Szlufcik setzt auf eigene Stärken.
Norwegen ist im nordischen Skisport ganz klar die Nummer eins. Das, und nicht weniger ist auch der Anspruch der Skandinavier. Darauf haben sie ihr sportliches System ausgerichtet. Wer einfache Erklärungen für die Dominanz sucht, verweist auf den angeblich exorbitanten Verbrauch von Asthmamitteln. Doch das wäre deutlich zu kurz gesprungen.
Auf der Suche nach dem Geheimnis der Dominanz lohnt sich ein Blick in die Mitte des Landes, dorthin, wo unendlich scheinende Schneelandschaften sich ausbreiten. Kilometer über Kilometer einsame Loipen. Über der Kleinstadt Ål liegt Liatoppen. Dort treffen sich immer im April 1100 Jugendliche beim Skiskytterfestival, dem größten Biathlon-wettkampf weltweit. „Die Startplätze sind binnen weniger Minuten ausgebucht“, sagt Wettkampfleiter Erling Hagen. Zum Vergleich: In ganz Deutschland gibt es über alle Altersklassen verteilt nur etwa 400 Biathleten.
„Jeder zweite Norweger wird mit Langlaufskiern an den Füßen geboren, so wie bei uns vielleicht mit Fußballschuhen“, sagt Zibi Szlufcik, Nachwuchsbundestrainer der deutschen Biathleten. Langlaufen ist Volkssport. Wenn bei uns Kleinkinder in Strumpfhosen vor die Heizung gesetzt werden, stellen die Norweger den Kinderwagen vor die Tür. „Bewegung im Freien ist für unsere Kinder normal“, sagt Hagen.
93 Prozent der Kinder und Jugendlichen waren 2018 Mitglied in einem Sportverein. Sie bekommen eine breite Grundlagen-ausbildung, der Wettkampfgedanke kommt viel später. Wer genug Talent, Freude und den Willen hat, besucht dann eine der Sportschulen. Hier beginnt die Ausbildung zum Leistungssportler und das beschränkt sich ausdrücklich nicht nur auf die körperliche Leistungsfähigkeit.
Kein Grund für Neid
Ein Ansatz, der auch Szlufcik wichtig ist. Er sieht die Masse an Talenten in Norwegen, sieht den Schnee, der hierzulande zunehmend zum limitierenden Faktor wird. Neidisch ist er nicht. Es gebe keinen Grund. „Wir haben in Deutschland sehr gute junge Athleten gehabt und wir haben sie noch. Ich höre immer, die Norweger machen das gut, die Franzosen machen das gut. Dann frage ich: Wo sind unsere Stärken? Die müssen wir nutzen.“Er schickt die Antwort gleich hinterher: „An unseren Stützpunkten und in den Verbänden leisten viele Trainer herausragende Arbeit.“Diese Basis stärken und ein Netz zu bilden, damit Talente sich bestmöglich entwickeln können, das ist das Ziel.
Kompetenzteams wurden gebildet im Laufen und Schießen, ein Leitfaden für beide Bereiche entwickelt. Davon sollen alle profitieren. Bei den erste Schulungen waren 70, 80 Trainer der Stützpunkte dabei. Das ist Szlufciks Ansatzpunkt.
In jedem Altersbereich gebe es Bereiche, in denen schwerpunktmäßig gearbeitet werden soll und zwar strukturiert überall im Land. Das alles wird wissenschaftlich immer weiter unterfüttert. Was das angeht, muss man sich hinter den Norwegern nicht verstecken.
An einem anderen Punkt hat Szlufcik seine Handschrift hinterlassen. „Von unseren Sportlern wurde sehr früh Leistung gefordert, um in die Förderung zu kommen.“Nun geht es nicht mehr allein um Siege. Einen Titel wie den des Deutschen Schülermeisters würde er am liebsten gar nicht mehr vergeben.
Für die Talente werden individuelle Profile angelegt. Wie trainiert der Athlet? Geht er noch zur Schule oder ist er schon Profi? Wie ist die körperliche Entwicklung? War er vielleicht länger krank? „Abgerechnet wird bei den Damen und Herren. Alles andere ist nur Vorspeise“, sagt der Nachwuchschef. Da ist er sich mit den Norwegern einig. Auf der anderen Seite sollen die Jungen Druck machen, das System durchlässiger werden.
Sturla Holm Laegreit und Johannes Dale haben ihr Debüt letzte Saison gefeiert. Jetzt sind sie Siegläufer. Nach dem Erfolg in Oberhof posteten sie auf Instagram ein Foto aus dem Jahr 2013: Damals waren sie 17 und feierten Arm in Arm einen Erfolg bei einem Wettkampf daheim. Sie sind in unterschiedlichen Vereinen groß geworden, waren beide an Sportschulen. Laegreit in Baerum, Dale in Geilo. Trotzdem sind sie miteinander gewachsen.
In Norwegen wird der Team-gedanke gelebt, Ausnahmen bestätigen da die Regel. „Am wichtigsten ist, dass wir Spaß gehabt haben, und dass wir als Freunde gekommen sind und auch heute noch Freunde sind“, sagte Norwegens Leistungssportchef Tore Øvrebø nach den Olympischen Spielen in Pyeongchang 2018.
Was nicht heißt, dass dahinter nicht knallharte Arbeit steckt. Beides widerspreche sich nicht. Ganz im Gegenteil. Wenn in Liatoppen
der Nachwuchs antritt, sind die Top-athleten da. Abends gibt es die Siegerehrung im Kino. Dann steht da ein Tarjei Boe und schüttelt jedem die Hand, egal ob er 80. oder Erster geworden ist.
„Ein Team ist super gigantisch wichtig“, sagt Szlufcik: „Aus der Freundschaft kommt die Stärke.“Deshalb ist ihm wichtig, dass die Athleten aus den Stützpunkten zusammen kommen. Voneinander lernen und profitieren, das ist das Gebot für Sportler und Trainer.
„Wir müssen aus den Rahmenbedingen, die wir haben, das Beste machen. Dinge, die man nicht beeinflussen kann, dürfen uns nicht beschäftigen“, sagt Szlufcik. Das gilt auch für die Ausbildung im Schießen. „In Norwegen wird von Beginn an Kleinkaliber geschossen. Die Sportler dürfen bis sie 17 sind das Gewehr aber außerhalb der Matte nicht anfassen. Die Eltern sind verantwortlich“, erklärt Erling Hagen.
In Deutschland wird erst mit dem Luftgewehr geschossen. Nur wer in diesem Alter schon Erfolge im nationalen Bereich hat, kann mit 15 Jahren eine Ausnahmegenehmigung für Kleinkaliber bekommen. „Wir haben keine Chance, dass zu ändern. Die Fronten sind verhärtet“, sagt Szlufcik mit Blick auf die geltende Gesetzgebung. „Was wir aber ändern können, ist die Art und Weise, wie die Ausbildung funktioniert. Da sind wir dran.“