Algorithmus statt Bierzelt
Keine Großveranstaltungen, kein Händedruck mit potenziellen Wählern: Corona drängt den Wahlkampf in die digitale Welt – und die Politik muss sich an die Logik der Plattformen anpassen.
An der Wand hängt ein Bild von Konrad Adenauer, in einem Regal liegen ein Fußball und ein Stofftier, in der Mitte des kleinen Zimmers stehen zwei Retro-stühle, ein Tischchen, in der Ecke Grünpflanzen. Der einst nüchtern gehaltene Büroraum in der Cdu-landesgeschäftsstelle in Stuttgart strahlt nun Wohnzimmer-atmosphäre aus. Als Kulisse für den Online-wahlkampf soll er so die Nähe zu den Bürgern suggerieren, die die Parteien und Kandidaten unter den Bedingungen der Pandemie nicht wie gewohnt bei Hausbesuchen oder in Bierzelten herstellen können.
Auch den Großraum nebenan, in dem zu normalen Zeiten der Landesvorstand getagt hat, hat die CDU zu einem Studio umfunktioniert. Die Reihe „Eisenmann will’s wissen“, mit der die Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann in den Wahlkreisen den direkten Austausch mit dem Publikum suchen und die Stimmung erspüren wollte, wird aufgrund der Restriktionen nun von hier digital ausgestrahlt.
Auch Online-wahlkampf kostet
„Wir planen mit drei Szenarien, aber gehen von einem aus“, sagt Cdu-generalsekretär Manuel Hagel beim Rundgang durch die Landesgeschäftsstelle der Partei. Szenario eins laute: Von Mitte Februar an ist alles möglich, sogar Großveranstaltungen. Szenario zwei gehe von kleineren Veranstaltungen mit stark reduzierter Personenzahl, Maske und Abstandsregeln aus. Szenario drei aber ist ein rein digitaler Wahlkampf ganz ohne Vor-ort-veranstaltungen – und für den 32-jährigen Wahlkampfmanager das Wahrscheinlichste. „Wir sind darauf eingestellt.“
Die Pandemie verlängert wegen des Schubs für die von Mitte Februar an mögliche Briefwahl die heiße Phase des Wahlkampfs. Sie katapultiert auch die sozialen Medien ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung. Welche Partei davon am meisten profitiert, ist umstritten.
Einerseits herrscht technisch Waffengleichheit, andererseits spielt neben der Online-affinität der eigenen Wählerschaft Geld auch hier eine große Rolle. Ein Gewinner steht so bereits fest: Es sind die kommerziellen Plattformen. Die Regeln von Youtube, Facebook, Instagram und Co. beeinflussen so den Wahlkampf, der wie noch nie von Daten und Algorithmen getrieben wird. Letztere verschaffen Botschaften mit Erregungspotenzial hohe Aufmerksamkeit, was in den USA Donald Trump und hierzulande die AFD groß gemacht hat.
Wie die CDU haben auch die Grünen ihre Zentrale für zwei Aufnahmebereiche umgerüstet, einmal Modell Wohnzimmer für Wohlfühl-formate, einmal Modell Stehpult für die direkte Ansprache. Den Kandidierenden biete die Partei ein Online-paket an, sagt Landeschefin Sandra Detzer; dazu gehören Tipps, wie sie auf Facebook Beiträge „Postleitzahlen-scharf“ausspielen können.
„Online-wahlkampf ist nicht billiger“, berichtet Detzer, der digitale Parteitag sei sogar teurer gewesen als ein Präsenzparteitag. Für das Buhlen um Wähler in den sozialen Medien habe der Landesverband zunächst 20 000 Euro eingeplant gehabt, sagt Ko-landeschef Oliver Hildenbrand. Inzwischen habe man auf 100 000 Euro aufgestockt, bei einem Gesamtbudget von 1,6 Millionen Euro. Die CDU hat mit 2,5 Millionen Euro das größte Budget, mindestens 500 000 Euro fließen in die Digitalstrategie – 25 al so viel wie vor fünf Jahren.
Hildenbrand kandidiert selbst für den Landtag. Er hat deshalb neulich einen 15-sekündigen Werbespot gedreht. Die Kürze ist dem Umstand geschuldet, dass die populären Youtube-beiträgen vorgeschalteten Spots dann nicht per Mausklick übersprungen werden können, sondern voll ausgespielt werden. 15 Sekunden sind nicht viel für einen Politiker, der etwas zu sagen hat. Aber so sind die Spielregeln der digitalen Welt.
Als wichtigste Plattform für ihre politischen Inhalte gilt den Profis in den Parteizentralen dabei Facebook. Für die Profilbildung der Kandidierenden, das Menschelnde, ist das auf ein jüngeres Publikum zielende Instagram das Maß der Dinge.
„Unter den Pandemie-bedingungen erreicht der Online-wahlkampf eine neue Dimension“, sagt Fdp-landesgeschäftsführer Jan Packebusch. Einen Nachteil für die Opposition sieht er darin nicht. „Die Bedingungen sind für alle gleich, es wird sich zeigen, wer smarter und schneller ist. Für eine kleine Partei muss das kein Nachteil sein.“
Packebusch betont im Videogespräch aber auch, dass die klassischen Großplakate in diesem Wahlkampf an Bedeutung gewinnen. Die sozialen Medien bieten zwar viele Möglichkeiten, Beiträge ans parteiaffine Publikum auszuspielen, aber bergen auch die Gefahr, nur in die eigene Blase zu kommunizieren und für unentschlossene Wechselwähler blind zu sein.
Aufgerüstet aber wird vor allem beim Digitalen. Die SPD hat in ihrer Zentrale am Wilhelmsplatz eigens das Erdgeschoss ausgemistet. „Die Werkstatt“beherbergt nun nicht mehr alte Druckmaschinen, sondern Equipment für Digital-formate.
Etwa ein Drittel des 1,8-Millionen-euro-budgets werde man für den Online-wahlkampf verwenden, sagt Generalsekretär Sascha Binder. Er hat die alte Tante SPD auf die digitale Schiene gesetzt, es gibt nun einen Telegram-kanal und eine digitale Plattform („Rotes Netz“) für Spd-mitglieder und Kandidierende, die mit „Mini-influencern“in ihrem Wahlkreis Instagram-gespräche veranstalten. Trotzdem sieht Binder die Entwicklung durchaus kritisch: „Was durch den Mangel an Begegnung in diesem Wahlkampf fehlt, ist die Nähe, das Menschliche, das Gespür, was bei den Leuten draußen los ist.“