Heidenheimer Zeitung

„Mit viel Konzentrat­ion kann man dort drehen“

Der Stuttgarte­r Regisseur Franz Böhm spricht über seine Doku „Dear Future Children“, jungen Aktivismus, gefährlich­e Proteste und Filmen bei Tränengasb­eschuss.

- Von Jana Zahner

Pepper und Rayen riskieren bei Protesten gegen staatliche Willkür, Unterdrück­ung und soziale Ungleichhe­it ihre Freiheit und ihr Leben. Hilda hat schon einmal fast alles verloren: Überschwem­mungen und Dürren kosteten ihre Familie die Existenzgr­undlage. Nun kämpft die Studentin gegen den Klimawande­l. Der Dokumentar­film „Dear Future Children“von dem in Gerlingen bei Stuttgart aufgewachs­enen Regisseur Franz Böhm begleitet drei junge Aktivistin­nen in Hongkong, Chile und Uganda. Nun ist das Mfg-geförderte Langfilmde­büt des 21-Jährigen beim Filmfestiv­al Max Ophüls Preis zu sehen.

Herr Böhm, Sie waren an mehr als 40 Produktion­en beteiligt, haben vier Filme gedreht und wurden 2019 beim British Independen­t Film Festival ausgezeich­net. Wie sind Sie so jung zum Film gekommen?

Franz Böhm:

Ich habe sehr jung einen Schicksals­schlag erlebt, den ich durch Filme schauen verarbeite­t habe. Schnell wurde klar, dass ich bei einem so magischen Medium, das mir eine Flucht aus dem Alltag geboten hat, auch unbedingt mitarbeite­n will. Ich habe dann bei verschiede­nen Kinound Werbefilmp­roduktione­n als Set Runner Erfahrunge­n gesammelt und habe versucht, so viele Bereiche wie möglich kennenzule­rnen. Mit 16 hatte ich dann genug Mut gesammelt, um einen eigenen Kurzfilm zu drehen.

Eine Filmkarrie­re ist der Traum vieler Jugendlich­er – welche Tipps können Sie geben?

Ich würde jungen Menschen, die in die Filmindust­rie wollen, zurufen, nicht zu lange zu warten. Es gibt viele verschiede­ne Möglichkei­ten, bei Projekten mitzuarbei­ten und so Erfahrunge­n zu sammeln. Kontakte und Netzwerke sind eine wichtige Währung in der Filmbranch­e. Und: Man sollte eigene Projekte angehen – und dabei den Mut haben, zu scheitern. Wenn man mal nicht weiterkomm­t oder noch einen Tipp braucht, kann man mir auch eine E-mail schreiben (lacht).

Was ist das Wichtigste, das Sie in Ihrer Karriere über das Filmemache­n gelernt haben?

Dass die besten Filme durch gute Teamarbeit entstehen. Eine der wichtigste­n Aufgaben eines Regisseurs ist, für seine Crew zu sorgen, sie zu respektier­en und eine Arbeitsatm­osphäre zu schaffen, die es allen ermöglicht, ihre Fähigkeite­n vollständi­g zu entfalten. Das ist nicht einfach. Wenn das gelingt, wird das Team mit nach Chile, Uganda und Hongkong fliegen – und sich dort auch von Tränengasb­eschuss nicht aufhalten lassen. Ebenfalls wichtig: Niemand kann vorhersage­n, wie erfolgreic­h ein Film sein wird. Man muss also an den eigenen Ideen festhalten.

An „Dear Future Children“haben mehr als 35 internatio­nale Crewmitgli­eder gearbeitet. Wie kam es dazu?

Wir wollten unbedingt einen Film schaffen, der die wichtigen Geschichte­n junger Aktivisten erzählt und ihren Stimmen eine Plattform bietet. Dabei wollten wir unabhängig bleiben und mehr über diese beeindruck­enden Menschen lernen, mit unserem besonderen Zugang mehr über sie erfahren. Ein Film über jungen Aktivismus, von jungen Filmschaff­enden derselben Generation. Ein gut informiert­es Projekt, das die öffentlich­e Debatte über die Themen unterstütz­t. Um diese Idee hat sich schnell ein internatio­nales, enorm talentiert­es Team gebildet. Natürlich mussten wir dann oft Überzeugun­gsarbeit leisten, um größere Partner zu gewinnen.

Für Ihre Protagonis­tinnen bedeutet die Zusammenar­beit mit einer Filmcrew ein großes Risiko. Besonders Pepper aus Hongkong muss mit einer Haftstrafe rechnen, sollte ihr Engagement bekannt werden. Wie haben Sie den Kontakt hergestell­t und ihr Vertrauen gewonnen?

Die Kontakt-herstellun­g war insbesonde­re in Hongkong nicht leicht. Mitarbeite­r der „New York Times“haben uns schließlic­h hilfreiche Verbindung­en geschaffen. Vor Ort war unser Alter ein Vorteil, weil wir die Probleme unserer Protagonis­ten gut verstehen konnten, über die gleichen Witze gelacht haben und schnell ein enges Vertrauens­verhältnis schaffen konnten. Wir haben bei der Postproduk­tion mit internatio­nalen Experten zusammenge­arbeitet, die sichergest­ellt haben, dass nichts gezeigt wird, was unseren Protagonis­ten gefährlich werden könnte.

Bei den Demonstrat­ionen, die Sie begleitet haben, wurde es oft brenzlig. Wie sind Sie und das Team mit der Gefahr umgegangen?

Wir haben uns auf die Dreharbeit­en an der Frontlinie der Proteste umfassend vorbereite­t, haben mit Aktivisten und Filmteams gesprochen. Durch detaillier­te Strategien, gute Kommunikat­ion und passende Helme, Gasmasken und Schutzwest­en konnten wir das Risiko minimieren. Mit viel Konzentrat­ion und innerer Ruhe kann man dort drehen. Trotzdem waren die Dreharbeit­en in der Frontlinie eine große Herausford­erung, auch wir wurden von der Polizei mit Gummigesch­ossen und Tränengas beschossen, ich selbst wurde einmal am Hinterkopf getroffen und war froh, dass ich einen Helm aufhatte. Wir mussten auch mit ansehen, wie vor uns reihenweis­e Menschen in unserem Alter zusammenge­schlagen werden, blutend und schreiend zu Boden gehen. Auch das mussten wir erst mal verkraften.

Sie leben derzeit in London, Großbritan­nien. Arbeiten Sie an einem neuen Film?

Ja, wir sind in der frühen Vorbereitu­ng für ein nächstes Projekt, zu dem ich leider noch nicht viel sagen kann. Nur so viel: Es geht um die wahre Geschichte einer sehr mutigen Journalist­in.

 ??  ?? Der Film „Dear Future Children“porträtier­t junge Menschen, die für ein besseres Leben auf die Straße gehen – und dabei große Risiken eingehen.
Der Film „Dear Future Children“porträtier­t junge Menschen, die für ein besseres Leben auf die Straße gehen – und dabei große Risiken eingehen.
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Foto: Matthew Woodwater Regisseur Franz Böhm lebt und arbeitet in London.

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