Heidenheimer Zeitung

Wenn Eltern keine Misserfolg­e zulassen

„Rasenmgher-eltern“werden die genannt, die alle möglichen Hinderniss­e von vornherein aus dem Weg rgumen. Was aber macht das mit der Entwicklun­g der Kinder?

- Von Caroline Friedmann

Das eigene Kind möglichst vor allem Schlechten bewahren - welche Eltern möchten das nicht? Doch so mancher Elternteil übertreibt es mit dem Behüten des eigenen Sprössling­s. Und dabei sind die sogenannte­n Helikopter-eltern, die - bildlich gesprochen immer über ihrem Nachwuchs „schweben“und über alles, was das Kind tut, mit Argusaugen wachen, nicht die einzigen überfürsor­glichen Exemplare unter den Erziehungs­berechtigt­en. Eine neuere Bezeichnun­g ist die der „Rasenmäher-eltern“, die alle möglichen Hinderniss­e, die sich dem Kind in den Weg stellen könnten, von vornherein „niedermähe­n“: Streitet sich das Kind mit einem anderen um ein Spielzeug, greift der Rasenmäher-vater sofort ein, damit der Konflikt ja nicht eskaliert. Wenn Sohn oder Tochter Probleme mit den Mathe-hausaufgab­en hat, löst die Rasenmäher-mutter zur Not auch die eine oder andere Gleichung. Und wenn die Schulnoten trotz aller Bemühungen nicht gut genug sind, werden Rasenmäher-eltern auch gerne mal bei der Schulleitu­ng vorstellig oder greifen sogar zu juristisch­en Mitteln.

So gut es diese Eltern auch meinen und so sehr sie ihre Kinder unterstütz­en möchten - für die Entwicklun­g von Sohn oder Tochter ist diese Form der Erziehung alles andere als förderlich. Denn wenn mögliche Konflikte und Probleme von den Eltern im Keim erstickt werden, lernt das Kind nicht, mit negativen Erfahrunge­n wie Streit oder Misserfolg umzugehen. Herausford­erungen zu begegnen und an ihnen zu „wachsen“, wird für ein überbehüte­tes Kind schier unmöglich. Und wer bei allem ungefragt Unterstütz­ung von Mama oder Papa bekommt, wird Schwierigk­eiten haben, sich zu einem selbststän­digen, eigenveran­twortliche­n Menschen zu entwickeln.

Hinfallen erwünscht

„Konfliktfä­higkeit ist ein wichtiges Gut und wir alle müssen lernen, Konflikte zu lösen - ob sie uns in der Familie oder der Schule begegnen oder später im Beruf “, erklärt Renate Schepker, Professori­n für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie in Ravensburg. „Wer das nicht kann, wird es im Leben nicht weit bringen und immer auf Hilfe angewiesen sein.“Deshalb sei es wichtig, dass Kinder und Eltern von Anfang an lernen, dass es nicht nur glückliche Tage gibt und „ein Kind auch mal hinfällt“. Das gelte für die ersten Schritte ebenso wie für das ganze Leben.

Aber nicht nur für die Entwicklun­g der Konfliktfä­higkeit ist es entscheide­nd, ein Kind seine eigenen Erfahrunge­n machen zu lassen. Denn wem stets alle Probleme abgenommen werden, muss keine eigenen Entscheidu­ngen treffen - und lernt dementspre­chend auch nicht, für sich selbst und andere Verantwort­ung zu übernehmen. Und wer es nicht gewohnt ist, auch mal eine schwierige

Situation zu lösen, wagt sich meist gar nicht erst an große Herausford­erungen heran. Das kann so weit gehen, dass ein Kind regelrecht Panik bekommt, wenn es eine Aufgabe meistern oder ein Problem lösen soll. Schließlic­h hat es nie gelernt, wie man Hinderniss­e überwindet und gestärkt aus Konflikten hervorgeht.

Ohne Fleiß kein Preis

Auch in puncto Motivation schaden Rasenmäher-eltern ihrem Nachwuchs mehr, als sie ihm nutzen. Denn wenn die Eltern alles für den Spross erledigen, entwickelt das Kind keinen eigenen Antrieb, um Probleme engagiert anzugehen. Und es lernt auch nicht, was man alles mit Zielstrebi­gkeit, Fleiß und Disziplin erreichen kann. Außerdem kann das ständige Eingreifen der Eltern dem Kind den Eindruck vermitteln, dass es selbst gar nicht in der Lage ist, seine Konflikte selbst zu lösen. Und das kann das Selbstvert­rauen des Kindes massiv beeinträch­tigen.

Als Ärztin und Vorstandsm­itglied der Deutschen Gesellscha­ft für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie, Psychosoma­tik und Psychother­apie (DGKJP) weiß Renate Schepker, wie wichtig es ist, dass Kinder frühzeitig lernen, wie sie mit Konflikten umgehen können. „Wenn das Kind sein Problem selbst gelöst hat, gibt ihm das die nötige Motivation, um auch mit anderen Herausford­erungen zurechtzuk­ommen“, so Schepker. „Und es ist stolz darauf, wenn es etwas allein geschafft oder etwas Neues gelernt hat.“

Gerade für die Schule sei es wichtig, Kinder zu motivieren und sie zum selbststän­digen Lernen zu befähigen, sagt die Expertin. Deshalb seien die Hausaufgab­en ganz klar Sache des Kindes. „Als Elternteil die Hausaufgab­en für das Kind zu erledigen, geht überhaupt nicht“, betont Schepker. „Und wenn das Kind etwas noch nicht so gut kann, muss es das einfach üben.“Fehler machen zu dürfen, sei für die gesunde Entwicklun­g eines Kindes von großer Bedeutung, so die Professori­n. Schließlic­h macht jeder Fehler das Kind um eine Erfahrung reicher - und es lernt, dass es kein Weltunterg­ang ist, etwas falsch zu machen.

Konfliktko­mpetenz ist Sozialkomp­etenz

Wenn Eltern ihrem Kind diese Erfahrung vorenthalt­en, kann sich das sowohl auf die Psyche des Kindes als auch auf sein Verhalten und seine zwischenme­nschlichen Beziehunge­n auswirken. In einer Studie aus dem Jahr 2018 konnten Forscherin­nen und Forscher der Universitä­ten in Minnesota, North Carolina und Zürich nachweisen, dass Kinder, die mit überfürsor­glichen Eltern aufwachsen, Probleme haben, ihre Gefühle zu kontrollie­ren. Häufig stören diese Kinder im Schulunter­richt oder werden verhaltens­auffällig.

Empathie statt Dauerkontr­olle

Um schon den Kleinsten einen gesunden Umgang mit Konflikten zu vermitteln, sollten Eltern ihre Kinder bei kleineren Streiterei­en möglichst selbst einen Weg der Problemlös­ung finden lassen. Gelingt das nicht, sollten sie mit den Kindern die Ursache des Streits ergründen und ihnen Möglichkei­ten aufzeigen, den Konflikt zu beenden. Wenn das Kind seinem Gegenüber aber wehtue, müssten die Eltern eingreifen und ihrem Sprössling Grenzen aufzeigen.

Um die vielfältig­en Herausford­erungen des Lebens zu meisten, brauchen Kinder also keine Rasenmäher- oder Helikopter-eltern, sondern vielmehr die Freiheit, auch mal auf die Nase fallen oder etwas falsch machen zu dürfen. Schließlic­h bietet jede neue Erfahrung dem Kind eine Möglichkei­t dazuzulern­en. Trauen wir unseren Kindern also ruhig etwas zu! Denn oftmals sind schon die Kleinsten zu mehr fähig, als Mama oder Papa vielleicht vermuten würden.

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