Wenn Eltern keine Misserfolge zulassen
„Rasenmgher-eltern“werden die genannt, die alle möglichen Hindernisse von vornherein aus dem Weg rgumen. Was aber macht das mit der Entwicklung der Kinder?
Das eigene Kind möglichst vor allem Schlechten bewahren - welche Eltern möchten das nicht? Doch so mancher Elternteil übertreibt es mit dem Behüten des eigenen Sprösslings. Und dabei sind die sogenannten Helikopter-eltern, die - bildlich gesprochen immer über ihrem Nachwuchs „schweben“und über alles, was das Kind tut, mit Argusaugen wachen, nicht die einzigen überfürsorglichen Exemplare unter den Erziehungsberechtigten. Eine neuere Bezeichnung ist die der „Rasenmäher-eltern“, die alle möglichen Hindernisse, die sich dem Kind in den Weg stellen könnten, von vornherein „niedermähen“: Streitet sich das Kind mit einem anderen um ein Spielzeug, greift der Rasenmäher-vater sofort ein, damit der Konflikt ja nicht eskaliert. Wenn Sohn oder Tochter Probleme mit den Mathe-hausaufgaben hat, löst die Rasenmäher-mutter zur Not auch die eine oder andere Gleichung. Und wenn die Schulnoten trotz aller Bemühungen nicht gut genug sind, werden Rasenmäher-eltern auch gerne mal bei der Schulleitung vorstellig oder greifen sogar zu juristischen Mitteln.
So gut es diese Eltern auch meinen und so sehr sie ihre Kinder unterstützen möchten - für die Entwicklung von Sohn oder Tochter ist diese Form der Erziehung alles andere als förderlich. Denn wenn mögliche Konflikte und Probleme von den Eltern im Keim erstickt werden, lernt das Kind nicht, mit negativen Erfahrungen wie Streit oder Misserfolg umzugehen. Herausforderungen zu begegnen und an ihnen zu „wachsen“, wird für ein überbehütetes Kind schier unmöglich. Und wer bei allem ungefragt Unterstützung von Mama oder Papa bekommt, wird Schwierigkeiten haben, sich zu einem selbstständigen, eigenverantwortlichen Menschen zu entwickeln.
Hinfallen erwünscht
„Konfliktfähigkeit ist ein wichtiges Gut und wir alle müssen lernen, Konflikte zu lösen - ob sie uns in der Familie oder der Schule begegnen oder später im Beruf “, erklärt Renate Schepker, Professorin für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Ravensburg. „Wer das nicht kann, wird es im Leben nicht weit bringen und immer auf Hilfe angewiesen sein.“Deshalb sei es wichtig, dass Kinder und Eltern von Anfang an lernen, dass es nicht nur glückliche Tage gibt und „ein Kind auch mal hinfällt“. Das gelte für die ersten Schritte ebenso wie für das ganze Leben.
Aber nicht nur für die Entwicklung der Konfliktfähigkeit ist es entscheidend, ein Kind seine eigenen Erfahrungen machen zu lassen. Denn wem stets alle Probleme abgenommen werden, muss keine eigenen Entscheidungen treffen - und lernt dementsprechend auch nicht, für sich selbst und andere Verantwortung zu übernehmen. Und wer es nicht gewohnt ist, auch mal eine schwierige
Situation zu lösen, wagt sich meist gar nicht erst an große Herausforderungen heran. Das kann so weit gehen, dass ein Kind regelrecht Panik bekommt, wenn es eine Aufgabe meistern oder ein Problem lösen soll. Schließlich hat es nie gelernt, wie man Hindernisse überwindet und gestärkt aus Konflikten hervorgeht.
Ohne Fleiß kein Preis
Auch in puncto Motivation schaden Rasenmäher-eltern ihrem Nachwuchs mehr, als sie ihm nutzen. Denn wenn die Eltern alles für den Spross erledigen, entwickelt das Kind keinen eigenen Antrieb, um Probleme engagiert anzugehen. Und es lernt auch nicht, was man alles mit Zielstrebigkeit, Fleiß und Disziplin erreichen kann. Außerdem kann das ständige Eingreifen der Eltern dem Kind den Eindruck vermitteln, dass es selbst gar nicht in der Lage ist, seine Konflikte selbst zu lösen. Und das kann das Selbstvertrauen des Kindes massiv beeinträchtigen.
Als Ärztin und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) weiß Renate Schepker, wie wichtig es ist, dass Kinder frühzeitig lernen, wie sie mit Konflikten umgehen können. „Wenn das Kind sein Problem selbst gelöst hat, gibt ihm das die nötige Motivation, um auch mit anderen Herausforderungen zurechtzukommen“, so Schepker. „Und es ist stolz darauf, wenn es etwas allein geschafft oder etwas Neues gelernt hat.“
Gerade für die Schule sei es wichtig, Kinder zu motivieren und sie zum selbstständigen Lernen zu befähigen, sagt die Expertin. Deshalb seien die Hausaufgaben ganz klar Sache des Kindes. „Als Elternteil die Hausaufgaben für das Kind zu erledigen, geht überhaupt nicht“, betont Schepker. „Und wenn das Kind etwas noch nicht so gut kann, muss es das einfach üben.“Fehler machen zu dürfen, sei für die gesunde Entwicklung eines Kindes von großer Bedeutung, so die Professorin. Schließlich macht jeder Fehler das Kind um eine Erfahrung reicher - und es lernt, dass es kein Weltuntergang ist, etwas falsch zu machen.
Konfliktkompetenz ist Sozialkompetenz
Wenn Eltern ihrem Kind diese Erfahrung vorenthalten, kann sich das sowohl auf die Psyche des Kindes als auch auf sein Verhalten und seine zwischenmenschlichen Beziehungen auswirken. In einer Studie aus dem Jahr 2018 konnten Forscherinnen und Forscher der Universitäten in Minnesota, North Carolina und Zürich nachweisen, dass Kinder, die mit überfürsorglichen Eltern aufwachsen, Probleme haben, ihre Gefühle zu kontrollieren. Häufig stören diese Kinder im Schulunterricht oder werden verhaltensauffällig.
Empathie statt Dauerkontrolle
Um schon den Kleinsten einen gesunden Umgang mit Konflikten zu vermitteln, sollten Eltern ihre Kinder bei kleineren Streitereien möglichst selbst einen Weg der Problemlösung finden lassen. Gelingt das nicht, sollten sie mit den Kindern die Ursache des Streits ergründen und ihnen Möglichkeiten aufzeigen, den Konflikt zu beenden. Wenn das Kind seinem Gegenüber aber wehtue, müssten die Eltern eingreifen und ihrem Sprössling Grenzen aufzeigen.
Um die vielfältigen Herausforderungen des Lebens zu meisten, brauchen Kinder also keine Rasenmäher- oder Helikopter-eltern, sondern vielmehr die Freiheit, auch mal auf die Nase fallen oder etwas falsch machen zu dürfen. Schließlich bietet jede neue Erfahrung dem Kind eine Möglichkeit dazuzulernen. Trauen wir unseren Kindern also ruhig etwas zu! Denn oftmals sind schon die Kleinsten zu mehr fähig, als Mama oder Papa vielleicht vermuten würden.