Voller Energie auf der Aufholjagd
Ein wenig nassgeregnet kommt Norbert Röttgen, Mappe unterm Abend, Schirm in der Hand, durch die Drehtür und blickt sich suchend um. Er hat hier im Bundestags-bürogebäude einen Termin angesetzt, und jetzt geht es darum, den reservierten Raum zu finden: „Wo ist denn das Treppenhaus?“Immerhin hat Röttgen in der Eingangshalle seine Gastrednerin gefunden, und die hat gleich noch Bruder und Schwiegervater mitgebracht. Oben im Sitzungssaal dann viele junge Leute. Es geht um die „Innere Einheit Deutschlands“, ein Thema, das man auf Anhieb eher nicht mit dem Ex-bundesumweltminister und aktuellen Außenpolitiker Röttgen verbindet. Der aber diskutiert lebhaft, schreibt eifrig mit und ist schließlich hochzufrieden mit der Veranstaltung. Das war im März 2020. Röttgen, der Überraschungsbewerber im Rennen um den Cdu-vorsitz, agierte voller Energie, aber am Rande der Aufmerksamkeit. Er war der Außenseiter – und dann kam auch noch Corona. „Ja, ich bin so gestartet“, sagt Röttgen dieser Tage. Aber inzwischen könne „davon keine Rede mehr sein“.
Erfolg mit Humor und einer gewissen Lässigkeit
Tatsächlich holte der 55-jährige Jurist in Wahrnehmung und Umfragen auf. Der Platz zwischen den Platzhirschen Merz und Laschet erwies sich plötzlich als günstig: „Ich bin kein Lager“, wirbt Röttgen. Zu Hilfe kam ihm auch die Weltlage, die plötzlich seine Themen hochspülte: In Moria brannte das Flüchtlingslager, in Russland wurde Alexej Nawalny vergiftet und in den USA klammerte sich Donald Trump an den Präsidentenstuhl. Plötzlich war Röttgen gefragt – und er konnte antworten; manchmal am selben Abend sowohl in den „Tagesthemen“als auch im „heute journal“. Und da die Scheinwerfer einmal aufgedreht waren, fiel das Licht gleich auch noch auf seine geschickte Social-media-strategie zwischen professionellem Ringlicht und Filmchen vom tapsigen Ballspiel in Büro. Auf dieser Schiene zeigte der Jurist plötzlich, was ihm immer abgesprochen wurde: Selbstironie, Humor und eine gewisse Lässigkeit.
Dass Röttgen klug reden kann, erkennen auch die an, denen genau das mächtig auf die Nerven geht. Im Wahlkampf versuchte er, auch aus Schwächen eine Stärke zu machen: Von seinen „Erfahrungen in Sieg und Niederlage“sprach er beim Kandidaten-dreikampf, kaum dass er das Mikrofon bekam. Niederlage – das war vor allem die desaströs verlorene Landtagswahl in Nordrhein-westfalen. Ein Vorgang, der beinahe ein Jahrzehnt zurückliegt, den ihm aber bis heute viele in der einflussreichen NRW-CDU nicht verziehen haben.
So ist eher fraglich, ob der Vater von drei Kindern die Wahl zum Parteichef wirklich gewinnen kann. Eines aber haben die vergangenen Monate gezeigt: Auch wenn Röttgen nur Dritter werden sollte, so richtig verlieren kann er schon jetzt nicht mehr.