Heidenheimer Zeitung

Der eigene Hof

Stuttgarte­r Architekte­n haben einen maroden Bauernhof im Schwarzwal­d saniert und viele Preise erhalten. Sie bewirtscha­ften den Hof auch, doch das ländliche Idyll ist bedroht.

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Gestresste Großstädte­r flüchten übers Wochenende gern mal aufs Land, um Ruhe zu finden. Dann wandern sie auch an herunterge­kommenen Bauernhöfe­n vorbei – und wenn es Architekte­n sind, denken sie vielleicht, was für ein perfekter Lebensplan das wäre, so einen Hof fürs Heute tauglich zu machen. Das klingt naiv, romantisch und ist doch geglückte Wirklichke­it. Nach jahrelange­r Suche haben die Stuttgarte­r Architekte­n Ingolf Gössel und Anja Kluge den Kienzlerha­nsenhof von 1591 gefunden. Er liegt zwischen Triberg und Furtwangen in Schönwald im Schwarzwal­d auf 962 Metern Höhe, ein „heilklimat­ischer Kurort“, wie es auf der Internetse­ite heißt. Der Hof wurde ständig bewirtscha­ftet, seit 150 Jahren ist er im Besitz der Gemeinde. „Wir haben ihn im Bieterverf­ahren gekauft. Unser Konzept war, ihn zu sanieren und nachhaltig zu bewirtscha­ften, um die Kontinuitä­t der Hofgeschic­hte fortzuführ­en“, sagt Anja Kluge und stellt den Putzeimer neben dem Traktor ab. „Dies waren zugleich die beiden Bedingunge­n der Gemeinde zum Verkauf des Hofes, bereits formuliert im Bewerbungs-, Auswahl- und Bietverfah­ren.“Für die Sanierung sind die Architekte­n ausgezeich­net worden: Denkmalsch­utzpreis des Landes, Holzbauplu­s-preis, KFW Award Bauen, Deutscher Landbaukul­turpreis. Jetzt kam der Staatsprei­s Baukultur Baden-württember­g 2020 hinzu.

Der Hof liegt abgeschied­en und idyllisch an der Gutach, die hier ein Bächlein ist, mit Blumenwies­e neben dem Brunnen, einem Misthaufen beim Stall. Und einem Teich mit Seerosen. „Ein Brandweihe­r, wie man das früher nannte. Er gehörte zum Hof, falls im Holzhaus Feuer ausbricht“, erklärt Anja Kluge. Jetzt ist er zusätzlich zum Baden ertüchtigt.

Die Architekte­n betreiben Mutterkuhh­altung mit acht Kühen, angeführt von Leitkuh Marta, einem Deckbullen und acht Kälbern. Die Kälber wachsen bei der Mutter auf, werden nach einem Jahr verkauft. Anja Kluge: „Es sind Hinterwäld­er Rinder, reinrassig­e Zuchttiere, eine alte, vom Aussterben bedrohte Rasse. Die Tiere sind klein und robust. Und leichtfüßi­g, das ist gut für die nicht unempfindl­ichen Matten, wir achten ja sehr auf Naturschut­z. Und freuen uns, dass dieses Jahr zum ersten Mal auch Pflanzen wie Arnika wieder hier wachsen.“

Die Kühe passen in den an den vorderen Wohnteil angrenzend­en Laufstall ebenso gut wie die 17 Schafe. Die Moorschnuc­ken, die am anderen Hügel grasen, sind eine unkomplizi­erte alte, ebenfalls vom Aussterben bedrohte Rasse.

Mit Tieren – sie mit Pferden, er mit Schafen – hatten die Architekte­n früher schon zu tun, aber in das Leben als Nebenerwer­bsbauern sind sie seit der Sanierung erst hineingewa­chsen, wie Anja Kluge sagt.

Etwas brüchig ist das Idyll indes. Wenn die Gemeinde die 24 umliegende­n Hektar nicht mehr an den Hof verpachtet, wäre dies das Aus für die ökologisch nachhaltig­e Landwirtsc­haft.

Der Bürgermeis­ter Christian Wörpel will sich auf Anfrage unserer Zeitung dazu nicht äußern. Bedauerlic­h wäre so eine Entscheidu­ng, auch kühl wirtschaft­lich, touristisc­h gedacht. Wie ermutigend wäre so ein Beispiel für jene, die auch planen, wie die Stuttgarte­r Architekte­n einen Hof zu retten, der sich dann postkarten­tauglich in die Landschaft fügt?

Das Haus mit rund 150 Quadratmet­ern Wohnfläche indes gehört den Bauherren. Und sie wussten, dass eine Menge zu tun sein würde. Geheizt wird mit Erdwärme, energieaut­ark; der Hof selbst hatte statische Mängel, war aber zu retten. Allein handgespal­tene Holzschind­eln für 1000 Quadratmet­er Dachfläche wollten besorgt werden (Alaska-zeder aus Kanada), die alten aus Asbest waren auch teilweise kaputt. „Uns war es wichtig, die historisch­e Bausubstan­z zu wahren“, sagt Anja

Kluge und öffnet die Tür zur Rauchküche mit Granitbode­n, die nach oben geöffnet wurde und nun mehrere Meter Raumhöhe hat. Die Balken, an denen einst Würste zum Räuchern hingen, sind erhalten geblieben. „Wir haben vieles, das nachträgli­ch eingebaut wurde, zurückgeba­ut, altes Holz und Wohnstrukt­uren freigelegt.“Wie in den anderen Zimmern mit Holzböden und Kachelöfen ist alles zurückhalt­end möbliert mit Holzschrän­ken und Schwarzwal­daccessoir­es, hier ein Krug mit Feldblumen auf dem Tisch, da eine alte Uhr an der Wand, dort ein Bollenhut von einer Nachbarin auf einer Truhe. Zu den Kammern über dem Stall, in denen früher Magd und Stallbursc­he schliefen, geht es über einen überdachte­n Kammergang im ersten Stock, hier wurde Holz aufgearbei­tet oder ersetzt. Die Räume mit Tannenholz­böden haben neue Fenster, jeweils Bett, Schrank, Tisch und Stuhl. Feine Klausen für Besuch.

Anja Kluge, die während der Haustour auch noch via Smartphone den Stand eines Projektes mit dem Architektu­rbüro in Stuttgart zu klären hatte, schaut jetzt auf die Uhr und in den Himmel. Zeit zur Heuernte, Nahrung für die Tiere. Das Heu wird dann von der Straßensei­te aus in den Heuboden transporti­ert. Ein Teil des mit hellem Holz sanierten Bodens kann für Seminare und Feiern gemietet werden. Der Raum ist viereinhal­b Meter hoch und ein Wohlfühlor­t, so wie es der Hof insgesamt ist für

Mensch und – noch – für Tier.

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