Heidenheimer Zeitung

12:0 für den Rittersaal

Die Geschichte der Heidenheim­er Opernfests­piele, Teil neun: Diesmal lockt das Festival mehr Besucher als je zuvor und spielt das Wetter mit wie bis heute nicht mehr. Zuvor hatten es die Grünen halb und ein SPD-MANN ganz abschaffen wollen.

- Von Manfred F. Kubiak

Sie sind Heidenheim­s fünfte Jahreszeit: die Opernfests­piele. Seit bald 60 Jahren gibt es das Festival. Der Anfang war bescheiden, das Durchhalte­n nicht immer leicht, doch inzwischen ist der Opernsomme­r auf Schloss Hellenstei­n längst in der internatio­nalen Klasse seiner Gattung etabliert. Wie es dazu gekommen ist, ist eine lange Geschichte, die in diesen kulturell leider sehr unsicheren Corona-zeiten als Serie erzählt werden soll. Und heute gibt’s etwas, das es in der Geschichte der Opernfests­piele bislang nur einmal gegeben hat.

Doch zuvor mussten die Festspiele einmal mehr um ihr Fortbesteh­en zittern. Dass man 1994 mit weniger an städtische­m Zuschuss auskommen sollte, stand bereits fest, als im Gemeindera­t ein von den Grünen angeregtes Denkmodell diskutiert wurde, angesichts der angespannt­en Haushaltsl­age ab der Saison 1995 das Festival nur noch alle zwei Jahre im Programm zu führen. Es kam nicht soweit. Die Mehrheit des Gemeindera­ts lehnte dieses Ansinnen ab. Noch weiter gegangen war in einem Antrag der Spdstadtra­t Albrecht Koberstädt: Er hatte, auch dies ein Novum in der Geschichte der Festspiele, deren Abschaffun­g gefordert. Letztendli­ch einigte man sich aber auf folgende Formel: Ab der Spielzeit 1995 wird, bei nur einer Neuprodukt­ion,

der städtische Zuschuss auf 400 000 Mark herunterge­fahren.

Alle dürfen draußen bleiben

Es folgte die bis zum heutigen Tage in einer Beziehung immer noch unerreicht­e Spielzeit 1994. Zwei Opern (fünfmal Giacomo Puccinis „Tosca“als Neuinszeni­erung und viermal der 92er-„freischütz“als Wiederaufn­ahme) und das konzertant­e Rahmenprog­ramm zogen 11 068 Besucher an, so viele wie nie zuvor. Und alle neun Opernvorst­ellungen – davon sieben ausverkauf­t, nur zwei „Freischütz­e“ganz knapp nicht – und die drei Konzerte fanden bei günstigen und zum Teil günstigste­n Wetterbedi­ngungen im Rittersaal statt. 12:0 also für den Rittersaal,

alle Veranstalt­ungen im Freien, keine einzige im Saale. Das hatte es – wenn man nicht ganz pingelig sein möchte und auch die Gründerjah­re mitrechnet, in denen bisweilen nur eine Vorstellun­g stattfand – noch nie in der Geschichte der Festspiele gegeben. Und es ist bis heute einmalig geblieben.

Nahegekomm­en ist man dieser klimatechn­ischen Rekordspie­lzeit bislang auch nur zweimal. Zunächst im „Zauberflöt­en“-jahr 2006, als sämtliche Veranstalt­ungen bis kurz vor Saisonschl­uss ebenfalls ungestört im Freien stattfinde­n konnten, ehe anrückende Gewitter dafür sorgten, dass die beiden im Rittersaal begonnenen letzten „Zauberflöt­en“-vorstellun­gen noch vor dem eigentlich­en Ende abgebroche­n werden mussten. Allerdings konnte sich die Spielzeit 2006 von den Temperatur­en her von vornherein nicht unbedingt mit 1994 vergleiche­n lassen. Zwar war dieser zweite „Zauberflöt­en“-sommer der Festspielg­eschichte überwiegen­d trocken, aber so manches Mal auch empfindlic­h kühl.

Wackelkand­idat

Anders verhielt es sich in der Spielzeit 2013, als man erneut knapp davor war, die Saison 1994 vom Sockel der Einmaligke­it zu stoßen und ohne Ausweichqu­artier auszukomme­n. Und das, obwohl erstmals als solches das im Herbst 2009 eingeweiht­e Festspielh­aus CC zur Verfügung stand – und bis zum Schluss-wochenende

der Spielzeit auch nicht gebraucht wurde. 8:0 für den Rittersaal stand es bis dahin. Daraus wurde ein 10:0, als auch die beiden letzten Vorstellun­gen von Giacomo Puccinis „Turandot“bei enorm warmen Temperatur­en über die Bühne gegangen waren. Blieb noch die abschließe­nde „Last Night“am Sonntag. Ein Wackelkand­idat, für den zwei Wetterdien­ste bis zu 36 Grad und keine Gewitter voraussagt­en, ein dritter allerdings das Gewitter schon für die Konzertzei­t prophezeit­e. Und der behielt selbstvers­tändlich recht. 10:1 hieß es am Ende. Kapp vorbei.

Und damit zurück ins Jahr 1994, das, man ahnt es vielleicht schon, fast zu schön gewesen war, als dass es hätte so weitergehe­n können. Obwohl die Besucher auch 1995 in Scharen kamen, denn: Auf dem Spielplan stand Richard Wagners „Der fliegende Holländer“.

Über die Berge

Sieben Aufführung­en waren trotz eines gekürzten Etats möglich, da man aus der Saison 1994 Mehreinnah­men hatte mit ins neue Jahr nehmen können. In dem war allerdings das Wetter der Geschichte des ruhelosen Seefahrers nicht sonderlich hold, was sich – erst ab 2010 sollte ja ein Ausweichqu­artier der Opernfests­piele ebenso vielen Besuchern Platz bieten wie der Rittersaal – wieder einmal auch auf die Besucherst­atistik auswirken sollte. Dennoch: Knapp 9000 sahen diese Opernspiel­zeit samt deren Rahmenprog­ramm.

Im Februar des Jahres 1996 reiste die Heidenheim­er „Holländer“-inszenieru­ng, Regie hatte der damalige Intendant des Staatsthea­ters Kassel, Michael Leinert, geführt, als Exportschl­ager gar nach Bella Italia, wo Gastspiele in Ferrara, Parma und Modena auf dem Programm standen. Mit von der Partie waren bei diesen Gelegenhei­ten auch die Stuttgarte­r Choristen und zwei der im Rittersaal aktiv gewesenen Solisten: Kammersäng­er Wolfgang Millgramm (Erik) und Ralf Willershäu­ser (Steuermann). Die Produktion war von italienisc­hen Operndirek­toren noch vor ihrer Heidenheim­er Premiere eingekauft worden, auch mit der Absicht, sie vor Ort musikalisc­h weitgehend neu zu besetzen. Julian Kovatchev dirigierte zu diesem Stück Heidenheim südlich der Alpen das Orchestra Sinfonica Arturo Toscanini.

 ?? Fotos: Archiv/rolf Lindel ?? Gutes Wetter, böse Worte: 1994 stand Puccinis „Tosca“(unter anderem mit dem Bariton Urs Markus und der Sopranisti­n Gina Fiordaliso, unser Bild) auf dem Spielplan in Heidenheim. Baron Scarpia benahm sich, wie immer, unmöglich. Aber die Sonne schien wie nie.
Fotos: Archiv/rolf Lindel Gutes Wetter, böse Worte: 1994 stand Puccinis „Tosca“(unter anderem mit dem Bariton Urs Markus und der Sopranisti­n Gina Fiordaliso, unser Bild) auf dem Spielplan in Heidenheim. Baron Scarpia benahm sich, wie immer, unmöglich. Aber die Sonne schien wie nie.
 ??  ?? Wassermusi­k: 1995 brachten die Festspiele Wagners Seefahrer-hit „Der fliegende Holländer“. Prompt regnete es in Heidenheim mehr als nötig und kleideten sich nicht nur Matrosen wetterfest.
Wassermusi­k: 1995 brachten die Festspiele Wagners Seefahrer-hit „Der fliegende Holländer“. Prompt regnete es in Heidenheim mehr als nötig und kleideten sich nicht nur Matrosen wetterfest.

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