Außer Kontrolle
Mit den Folgen der Atomkatastrophe von Fukushima kämpfen die Einheimischen noch heute. Auch wenn sich die Regierung in Tokio nach Kräften bemüht, Normalität zu vermitteln.
Nach einem heftigen Erdbeben im Pazifik, Stärke 9 auf der Richterskala,
11. März 2011:
rast ein Tsunami auf die Küste im Nordosten Japans zu. Auf mehreren Hundert Kilometern Länge überspülen die Wassermassen Schutzmauern, löschen Dörfer und Städte aus. Fast 20 000 Menschen werden getötet, rund 160 000 müssen ihre Heimat verlassen.
Von den Fluten schwer getroffen wird auch das Atomkraftwerk Fukushima-daiichi. Das Wasser zerstört Rohre, Leitungen und Gebäude auf dem Gelände, die Stromversorgung zur Anlage wird unterbrochen. Das Kühlsystem bricht zusammen, in drei von vier Reaktoren schmelzen die Kerne. Ein Super-gau hat sich ereignet, die größte Nuklearkatastrophe seit dem Unglück im ukrainischen Tschernobyl, wo am
26. April 1986 ein Reaktor explodiert war. In Deutschland befeuern die Ereignisse in Fukushima die schwelende Debatte über den Ausstieg aus der Nutzung der Kernkraft. Drei Tage nach dem Unglück beschließt die Bundesregierung, die im Oktober 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke auszusetzen. Vor dem Hintergrund zunehmender Unruhe in der Bevölkerung verkündet die Bundesregierung Anfang Juni das sofortige Aus für acht Kernkraftwerke – Biblis A und B, Brunsbüttel, Isar 1, Krümmel, Neckarwestheim 1, Philippsburg 1 und Unterweser – sowie den stufenweisen Atomausstieg bis 2022. Eine Energiewende soll eingeleitet werden. International macht das deutsche Beispiel kaum
Kurze Pause für die Kernkraft
Schule: Die USA, Frankreich, China oder Russland – um nur einige zu nennen – setzen weiter ungebremst auf Atomkraft zur Energiegewinnung. In Japan hat die Nuklearindustrie nach kurzer Pause ebenfalls wieder Konjunktur, obwohl Umfragen zufolge rund 60 Prozent der Bevölkerung die Stromgewinnung aus Atomkraft ablehnen. Nach der Katastrophe von Fukushima hatte Japan seine Kernkraftwerke nach und nach abgeschaltet und von Herbst 2013 an gänzlich auf Nuklearenergie verzichtet. Vier Jahre nach dem Unglück jedoch ging wieder eine Atomanlage ans Netz: Im August 2015 wurde der Reaktor Sendai 1 auf der Insel Kyushu hochgefahren. Inzwischen haben die diversen Betreiber die Wiederzulassung für 25 der zuletzt 48 japanischen Reaktoren beantragt. Bis 2030 will das Land 22 Prozent seiner Energie wieder aus der Atomkraft beziehen.
In der Nähe der zerstörten Anlage in Fukushima kann inzwischen wieder gearbeitet werden. Radioaktiv strahlende Teile wurden offiziellen Angaben zufolge abgetragen, der Boden rund um die Meiler wurde mit Beton übergossen, die Reaktorgebäude sind abgedeckt. Ein Großteil der abgebrannten Brennstäbe wurde mit ferngesteuerten Geräten geborgen und in neuen Gebäuden verstaut. Rund 20 Millionen Kubikmeter kontaminierter Erde sowie organische Abfälle wie Laub und Äste fanden Platz in einem Lager unweit des früheren Kraftwerks.
Allerdings kämpfen die Verantwortlichen bis heute mit Unmengen kontaminierten Wassers in der zerstörten Anlage. Es wird täglich mehr, da es entweder zur weiterhin notwendigen Kühlung der Reaktorruinen gebraucht wird oder über Grund- und Regenwasser in das beschädigte Kraftwerk eindringt. Mehr als eine Million Kubikmeter belastetes Wasser sollen sich inzwischen in diversen Tanks auf dem Gelände befinden. 2022 werden die Kapazitäten erschöpft sein, warnt die Betreibergesellschaft Tepco.
Um das Problem zu lösen, hat die japanische Regierung im Oktober vergangenen Jahres beschlossen, dass das radioaktiv verseuchte Wasser ins Meer abgelassen werden darf. Die
Behörden versprechen, dass es gründlich gefiltert wird – danach enthalte das Wasser nur noch Tritium, das für den Menschen nur in sehr hohen Dosen schädlich sein soll. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hält dagegen: „Es wird behauptet, dass kein Gesundheitsrisiko besteht, aber die radioaktive Strahlung sammelt sich im Meer und existiert dort weiter“, sagt ihre Sprecherin Kazue Suzuki.
Vorerst wird das kontaminierte Wasser allerdings wohl nicht im Meer landen. Angesichts der Olympischen Spiele, die – falls die Corona-pandemie es zulässt – vom 23. Juli bis 8. August in Japan stattfinden sollen, arbeitet die Regierung in Tokio am Image eines Landes im Aufbruch. Dazu gehört, die gebeutelte Region im Nordosten als gesund und wirtschaftlich blühend darzustellen. Der traditionelle Fackellauf zum Auftakt der Spiele soll hier starten, Begegnungen der Soft- und Baseballwettbewerbe sind im Stadion von Fukushima angesetzt. Die damit verbundenen Bilder sollen entspannte Normalität vermitteln, Meldungen von verstrahltem Wasser im Pazifik würden da stören.