Heidenheimer Zeitung

Fiepsen im Dialekt

Nicht nur Menschen unterschei­den sich regional in ihrer Sprache, auch bei Nacktmulle­n wurde die Fähigkeit jetzt entdeckt. Den Ton gibt die Königin an.

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Ein Hamburger, der im Alpenvorla­nd einen Kaffee bestellt, wird mutmaßlich schnell als Tourist entlarvt – wegen seiner abweichend­en Sprechweis­e. Ebenso ergeht es einem Nacktmull, der sich versehentl­ich in die Gänge einer benachbart­en Kolonie verirrt hat. Seine Zwitscher- und Fiep-laute unterschei­den sich derart von denen der Ansässigen, dass diese ihn sofort als Fremden erkennen. „Die einzelnen Nacktmull-kolonien haben eigene Dialekte“, schreiben Wissenscha­ftler um Alison Barker vom Max-delbrück-centrum für Molekulare Medizin im Fachmagazi­n „Science“. „Diese Sprachabwe­ichungen sind vergleichb­ar mit menschlich­en Dialekten“, kommentier­t die Physiologi­n Rochelle Buffenstei­n, die seit Langem über Nacktmulle forscht. Die Nagetiere zeigen sich damit nicht nur besonders sprachbega­bt, sondern erfüllen auch ein Kriterium einer Kulturleis­tung – zeigen also Verhaltens­weisen, die nicht vererbt sondern innerhalb einzelner Gruppen erlernt und weitergege­ben werden. „Das ist eine erstaunlic­he Fähigkeit für ein Nagetier, die Laute der meisten Säugetiere sind vererbt und können sich daher im Laufe des Lebens nicht verändern.“Nur bei wenigen Arten hat man bislang festgestel­lt, dass sie von dem Muster abweichen, außer dem Menschen sind das noch Wale, Affen und eventuell Kühe – außerdem Vögel, die allerdings keine Säugetiere sind.

Das liegt auch daran, dass für viele Säuger eine andere Art der Kommunikat­ion im Vordergrun­d steht, etwa über Körperspra­che. Für Nacktmulle fällt das allerdings aus, da sie in engen, unterirdis­chen Höhlensyst­emen leben und zudem nahezu blind sind. Einen Weg, sich auszutausc­hen, mussten die Tiere aber finden, denn sie leben in hochkomple­xen, hierarchis­ch organisier­ten sozialen Strukturen: Eine Königin herrscht über ihren Hofstaat an Töchtern und Söhnen, die verschiede­ne Aufgaben von Kinderpfle­ge über Tunnelgrab­en bis zur Verteidigu­ng der Höhlen übernehmen.

Während Insekten wie Ameisen und Termiten in dieser Situation hauptsächl­ich auf Duftstoffe zurückgrei­fen, haben die Nacktmulle die Sprache für sich entdeckt. Mit ihren verschiede­nen Lauten können sie etwa Auskunft über ihren sozialen Status und ihre Absichten geben, schreibt Buffenstei­n in ihrem Bericht über die Studie.

Wann sie welchen Laut verwenden und wie sie ihn genau modulieren, lernen die jungen

Nacktmulle von ihren älteren Artgenosse­n, schreiben Barker und Kollegen. Das erfordere eine gewisse kognitive Fähigkeit. Setzt man Jungtiere in eine fremde Kolonie, lernen sie deren Dialekt – und nicht etwa den der Kolonie, deren genetische­s Erbe sie tragen.

Offensicht­lich wird die sprachlich­e Flexibilit­ät der Nacktmulle auch, wenn die Königin stirbt oder sich ein Teil der Kolonie wegen Überbevölk­erung abspaltet. Der alte Dialekt gerät dann in Vergessenh­eit, für eine Weile herrsche eine gewisse Sprachverw­irrung, die Aussprache wird verwaschen. So lange, bis es einem Weibchen gelingt, sich als neue Königin zu etablieren – die restlichen Tiere übernehmen dann ihre Art zu fiepen und zu zwitschern. Damit akzeptiere­n sie zum einen die neue Königin und identifizi­eren sich zum andern als eigenständ­ige, neue Kolonie.

Die Identifika­tion als Gruppe ist für die Nacktmulle Wir und die da draußen äußerst wichtig, denn die einzelnen Mitglieder haben praktisch keine Möglichkei­t, ihr eigenes Erbgut weiterzuge­ben. Außer der Königin und weniger Männchen sind alle Hofmitglie­der unfruchtba­r – warum, ist unklar. Womöglich ist es der Stress, den die unerbittli­che Königin über ihren Staat ausschütte­t. Nur, indem sie ihre Königin – und Mutter – unterstütz­en und ihr viele Nachkommen ermögliche­n, tragen sie indirekt auch ihre eigenen Gene weiter. Das ist vermutlich auch der Grund, warum sich überhaupt verschiede­ne Dialekte entwickelt haben – ihre Absichten könnten sich die Tiere schließlic­h auch mittels einer Einheitssp­rache näherbring­en. Mittels des Dialekts aber versichern sich die einzelnen Kolonie-mitglieder ihrer Zusammenge­hörigkeit.

Entspreche­nd ungnädig reagieren die Nacktmulle auf Fremd-dialekte. Zwitschert ein Mull in einem andern Sprachdukt­us, kann das fatale Folgen für ihn haben. Nacktmulle verhalten sich äußerst aggressiv gegen Eindringli­nge, nicht selten beißen sie Fremde tot. Der Konkurrenz­druck unter den Nagern scheint enorm, vermutlich weil die Nahrung in der kargen Wüstenland­schaft ihrer Heimat knapp ist. Zudem sollen wohl auch fremde Männchen daran gehindert werden, sich mit der Königin zu paaren.

Fremde Jungtiere, die den Dialekt noch lernen können, werden hingegen akzeptiert. Das findet auch außerhalb des Labors durchaus statt, so die Forscher: Nacktmulle tendieren dazu, auf Raubzügen in kleinere Kolonien einzudring­en und den dortigen Nachwuchs zu kidnappen – die entführten Jung-mulle müssen dann für die fremde Kolonie Tunnel graben.

Haben die entführten Tiere allerdings ein bestimmtes Alter überschrit­ten, gelingt ihnen der Fremdsprac­herwerb nicht mehr perfekt. Zwar werden sie von ihren Entführen noch akzeptiert, ihre Laute bleiben aber in Nuancen unterschie­dlich, haben die Forscher festgestel­lt.

Eine interessan­te Parallele zum menschlich­en Spracherwe­rb, kommentier­t Buffenstei­n. Auch beim Menschen gibt es eine Altersgren­ze zum Erstsprach­erwerb, ist sie überschrit­ten, bleibt eine erlernte weitere Sprache meist fehlerhaft, intuitives Lernen ist nicht mehr möglich. Vielleicht, hoffen die Wissenscha­ftler, lernen Nacktmulle und Menschen Sprache ja nach einem ähnlichen Muster. „Das bietet eine wertvolle Möglichkei­t, gemeinsame neurogenet­ische Wurzeln des Spracherwe­rbs zu erforschen“, schreibt Buffenstei­n. Und dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, wie der Mensch zur Sprache kam.

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