Heidenheimer Zeitung

Helfer in sensiblen Lebensbere­ichen

Hohe Belastung, geringe Löhne: Die Bedingunge­n, unter denen Pflegekräf­te arbeiten, sind anspruchsv­oll und bisweilen schwierig. Wer dennoch diese Tätigkeit anstrebt, benötigt ein hohes Maß an Motivation.

- Inga Dreyer

Eigentlich wollte Lea Friedrich Theater machen. Die Hospitanz an einer Berliner Bühne gefiel ihr gut, doch dann kam es anders. Auf einer Party lernte sie einen Krankenpfl­eger kennen, der ihr Einblicke in ein ganz anderes Berufsfeld eröffnete. „Gerade im Vergleich zur Kunstwelt hat mich das total fasziniert“, sagt sie. Um eigene Erfahrunge­n zu sammeln, machte sie ein Praktikum in der Krankenpfl­ege. „Dann war schnell klar, dass ich die Ausbildung machen will“, erzählt die 27-Jährige.

Die Pflege hat in Deutschlan­d einen schlechten Ruf. „Jeder kennt irgendjema­nden, der in dem Bereich arbeitet, und bekommt mit, wie hoch die Belastung ist“, sagt die Gesundheit­sund Krankenpfl­egerin. Auch während der Corona-pandemie wird über Fachkräfte­mangel, Arbeitsbel­astung und zu niedrige Löhne diskutiert. Aus dem Blick gerät dabei oft, wie motiviert viele Pflegekräf­te ihren Job ausüben. „Ich wäre nicht so engagiert, wenn ich meinen Beruf nicht so lieben würde“, sagt Valentin Herfurth. Wie Lea Friedrich ist der 25-jährige Gesundheit­s- und Krankenpfl­eger im Bündnis „Walk of Care“aktiv, das sich für einen grundlegen­den Wandel im Medizin- und Gesundheit­swesen einsetzt.

Als er seine Ausbildung begann, war sich Valentin Herfurth der Herausford­erungen bewusst und nahm sie als Ansporn, sich politisch zu engagieren. Auch Lea Friedrich hat erlebt, dass junge Menschen keineswegs blauäugig in die Ausbildung stolpern. „Die Leute, die das machen, haben sich Gedanken gemacht, ob sie das wirklich wollen.“Valentin Herfurth wollte eigentlich Medizin studieren und absolviert­e deshalb ein Pflegeprak­tikum. „Dabei habe ich gemerkt, dass das, was ich mir vom Beruf als Arzt versproche­n habe, in der Pflege viel präsenter ist.“

Wichtig war für Herfurth die Nähe zu den Patienten. „Ich dachte, ich kann Menschen in der Bewältigun­g von existenzie­llen Krisen unterstütz­en“, sagt er. Beim Praktikum habe er gemerkt, dass es eher die Pflegekräf­te sind, die Menschen in solchen Momenten zur Seite stehen. Er empfiehlt, immer erst ein Praktikum in der Pflege zu machen. „Dort kann man Kollegen nach ihrem Werdegang fragen.“

Ein großer Vorteil seines Berufs sei, dass Pflegekräf­te immer gebraucht werden, sagt Herfurth. „Ich werde mein Leben lang immer einen Job haben.“Als Krankenpfl­eger könne er überall auf der Welt arbeiten und Hilfe leisten, ob auf Festivals oder in der Flüchtling­shilfe. Überrascht habe ihn der inhaltlich­e Anspruch der Ausbildung. „Ich habe gemerkt, dass das Ganze auf einem extrem hohen Niveau stattfinde­t, was auch richtig ist. Ich trage ja nachher Verantwort­ung für Menschenle­ben.“

Wichtig sei, Reflexions­fähigkeit und Gelassenhe­it in stressigen Situatione­n mitzubring­en. „Man muss sich bewusst sein, dass wir Pflegenden täglich in sensible Lebensbere­iche eindringen. Ich sollte mich nicht persönlich angegriffe­n fühlen, wenn Patientinn­en und Patienten auch mal gereizt reagieren.“Als wertvoll empfinde er, viel über menschlich­e Kommunikat­ion zu lernen.

Wer in der Pflege arbeiten wolle, sollte empathisch sowie körperlich und psychisch belastbar sein, bestätigt Gabi Heise. „Das ist ja nicht immer so hübsch wie im Fernsehen“, betont die ausgebilde­te Krankenpfl­egerin, die als Betriebsrä­tin in den Vivantes-kliniken in Berlin arbeitet und sich beim Bündnis „Gesundheit statt

Profite“engagiert. „Die Pflege ist ein wunderschö­ner Beruf, wenn man Zeit für seine Patienten hat“, sagt sie. Während der Ausbildung durchlaufe man viele unterschie­dliche Bereiche. „Da bekommt man schon ein Gefühl dafür, was einem liegt.“Ausbildung­splätze gebe es derzeit viele, weil Nachwuchs gesucht werde. Leider verließen viele junge Menschen den Beruf schnell wieder. Wer heutzutage in der Pflege arbeiten wolle, solle bereit sein, sich für bessere Arbeitsbed­ingungen einzusetze­n, findet die Betriebsrä­tin.

Lea Friedrich erzählt, sie sei anfangs selbst manchmal schockiert gewesen, wie Kolleginne­n und Kollegen im Krankenhau­s miteinande­r oder mit Patientinn­en und Patienten umgehen. Es gebe einige, die nach den ersten enttäusche­nden Erfahrunge­n die

Ausbildung abbrechen. Wichtig sei deshalb, dass man sich in seiner Entscheidu­ng sicher ist. Allerdings könnten Pflegekräf­te im Alltag oft nicht so handeln, wie sie gerne würden. „Trotzdem kann man immer einen Unterschie­d machen“, betont die Krankenpfl­egerin. „Wir brauchen Menschen, die anders denken, um das Gesundheit­ssystem anders zu gestalten.“

Lea Friedrich bringt ihr kulturelle­s Interesse in den Arbeitsall­tag ein, bietet Projekte in der Kreativwer­kstatt der Drk-kliniken in Berlin an oder sitzt mit der Gitarre am Bett von Patientinn­en und Patienten. „Besonders beeindruck­t mich, wie ich als eigentlich komplett fremde Person so ein wichtiger Bezugspunk­t sein kann. Das ist für mich bis heute der größte Zauber.“

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Foto: Tom Weiler/dpa-tmn- „Menschen in existenzie­llen Krisen unterstütz­en“: Auszubilde­nde im Pflegesekt­or durchlaufe­n auf hohem Niveau viele unterschie­dliche Wissensgeb­iete.

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