Heidenheimer Zeitung

Hat Geld blind gemacht?

Die evangelisc­he Landeskirc­he lässt das Geschehen in ihren Elite-gymnasien durchleuch­ten.

- Elisabeth Zoll

Stuttgart. Die Orte haben klangvolle Namen: evangelisc­h-theologisc­hes Seminar Maulbronn, evangelisc­hes Seminar Blaubeuren. Hier wurde und wird eine protestant­ische Elite ausgebilde­t. Pfarrer und Pfarrerinn­en fanden in den ehrwürdige­n Klosterhal­len ihre Berufung. Geformt wurden aber auch Führungskr­äfte in Wirtschaft, Politik und Gesellscha­ft. Und genau hier soll sich in den 50er und 60er Jahren großes Unrecht ereignet haben.

Ein Förderer von Jugendeinr­ichtungen der evangelisc­hen Kirche soll Geld und Einfluss genutzt haben, um sich Knaben gefügig zu machen. Auch bei Reisen des Hymnus-chors und Freizeiten des Cvjm-esslingen im Dulkhäusle soll es zu sexualisie­rter Gewalt gekommen sein. Die Offenbarun­g eines früheren Chorsänger­s und Seminarist­en brachte Nachforsch­ungen ins Rollen. Er hatte sich 2016 an die „Unabhängig­e Kommission“unter Vorsitz des ehemaligen Stuttgarte­r Richters Wolfgang Vögele gewandt.

Doch warum hat der Betroffene so lange geschwiege­n? Oder wurden frühere Hinweise auf den Mäzen ignoriert? Andeutunge­n, dass etwas im Argen lag, hatte es möglicherw­eise früher gegeben, mutmaßt Ursula Kress, die Beauftragt­e für Chancengle­ichheit in der Evangelisc­hen Landeskirc­he. Schließlic­h war der Fahrer des Industriel­len wegen Kuppelei rechtmäßig verurteilt worden. Heute interessie­re: Welche Strukturen haben es dem inzwischen verstorben­en Verdächtig­en ermöglicht, unbehellig­t in den Seminaren ein und aus zu gehen?

Betroffene werden befragt

Dieser Frage soll eine Studie nachgehen, die die Evangelisc­he Landeskirc­he Württember­g bei der Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie und Psychother­apie

der Uni-klinik Ulm in Auftrag gibt. „Wir wollen wissen, was damals geschah und wir wollen daraus lernen“, sagt Stefan Werner, Direktor im Evangelisc­hen Oberkirche­nrat.

Die Studie, die Miriam Rassenhofe­r verantwort­et, ist auf drei Jahre angelegt. Sie soll zusammen mit Betroffene­n erarbeitet werden. Ziel ist nicht nur Aufklärung. In einem zweiten Schritt sollen Prävention­skonzepte weiterentw­ickelt und bereits existieren­de Vorgaben auf ihre Tauglichke­it hin überprüft werden. Rassenhofe­r: „Wir wollen Empfehlung­en formuliere­n, wie Schutzkonz­epte

in den Einrichtun­gen weiterentw­ickelt werden können.“

Ursula Kress weist darauf hin, dass die Landeskirc­he bis Ende 2020 insgesamt 900 000 Euro an Anerkennun­gsleistung­en für 152 von Missbrauch Betroffene bezahlt hat. Der Großteil von ihnen hat in Heimen der Diakonie traumatisc­he Erfahrunge­n erlitten, 15 Betroffene haben sexualisie­rte Gewalt von Pfarrperso­nen erfahren. Der Hilfebedar­f der Betroffene­n ist zum Teil dramatisch groß. Die Unabhängig­e Kommission stellt weitere Unterstütz­ungsleistu­ngen in Aussicht.

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