Heidenheimer Zeitung

„Katastroph­e in Zeitlupe“

Wie kommen die Theater durch die Pandemie? Ein Gespräch mit Marc Grandmonta­gne vom Deutschen Bühnenvere­in, der auch das baden-württember­gische Kunstminis­terium kritisiert.

- Von Jürgen Kanold

Der Deutsche Bühnenvere­in ist der Interessen­und Arbeitgebe­rverband der Theater und Orchester – und damit hat er in diesen Corona-zeiten besonders viel zu tun. Nach der Öffnungsst­rategie des Corona-gipfels von Bund und Ländern könnten die Theater vom 22. März an wieder öffnen, sollte der Inzidenzwe­rt nicht höher als 100 sein. Aber so einfach ist das alles nicht. Ein Gespräch mit Marc Grandmonta­gne, dem Geschäftsf­ührenden Direktor des Bühnenvere­ins.

Kennen Sie eine Bühne, die tatsächlic­h bald spielt?

Marc Grandmonta­gne:

Es gibt in Tübingen einen Feldversuc­h und in Berlin ein Modellproj­ekt. Aber wir wissen nicht, wie es weitergeht. In Köln beispielsw­eise, wo ich arbeite, liegt der Inzidenzwe­rt schon über 100. Es ist ja erfreulich, dass die Politik mittlerwei­le die Kultur mitdenkt, aber wir sollten uns nicht auf den Inzidenzwe­rt konzentrie­ren.

Was wäre Ihr Vorschlag?

Wir sollten unsere Energie stärker darauf richten, mit differenzi­erten Maßnahmen eine Öffnung der Bühnen zu ermögliche­n. Es ist realistisc­h, dass das Virus uns noch viele Monate, noch Jahre begleitet. Wir können in dieser Zeit aber nicht das gesamte öffentlich­e Leben stillstehe­n lassen, ohne irreparabl­e gesellscha­ftliche Kollateral­schäden zu beklagen. Wir sollten pragmatisc­h sein: Aktuelle Schnelltes­ts für Besucherin­nen und Besucher in Verbindung mit Hygienereg­elungen und Impfung wären zunächst eine Möglichkei­t, die Kontrolle zu behalten. Ich hoffe, dass etwa der Feldversuc­h in

Tübingen so ermutigend ist, dass wir flächendec­kend eine Perspektiv­e für die Öffnung der Theater erhalten.

Die Theater hatten schon letztes Jahr mit vorbildlic­hen Sicherheit­sstandards gearbeitet, wurden aber dafür nicht von der Politik belohnt.

Dass die entwickelt­en Hygienekon­zepte funktionie­rt haben, zeigen mittlerwei­le auch viele Studien dazu. In Nordrhein-westfalen zum Beispiel wurden die Lüftungsan­lagen der öffentlich­en Bühnen untersucht. Alle Erkenntnis­se zeigen, dass das Theater ein sicherer Ort ist. Dann sagt die Politik aber: Okay, das Publikum sitzt sicher, die Menschen müssen aber auch dorthin kommen. Das ist richtig, aber auch damit kann man mit Hygienereg­eln und Selbstvera­ntwortung umgehen, sonst könnten wir auch nicht zum Einkaufen fahren.

Ein Opernhaus etwa braucht auch Zeit, um den Betrieb wieder hochzufahr­en: also verlässlic­he Planung?

Ja, und das, wo viele Beschäftig­te derzeit noch in Kurzarbeit sind. Eine Produktion muss geprobt und technisch aufgestell­t werden, schließlic­h muss auch noch genug Zeit sein, den Spielplan anzukündig­en. Die Tickets müssen verkauft werden. Das geht alles nicht auf Knopfdruck. Das Publikum zurückzuge­winnen, ist dann auch ein Stück Vertrauens­arbeit. Die Menschen müssen sich in den Sälen sicher fühlen. Wir haben alle verlernt, wie das mit der sozialen Nähe so geht.

Werden überhaupt wieder alle Abonnentin­nen und Abonnenten, die Stützen der Theater, zurückkehr­en?

Der Soziologe Armin Nassehi meint, dass wir uns am Ende wundern könnten, wie träge eigentlich Strukturen und Systeme sind.

Aber machen wir uns nichts vor: Die Rückgewinn­ung des Publikums wird auch ein Stück Arbeit bedeuten. Vielleicht erreichen wir ja nach der Pandemie den ursprüngli­chen Zustand wieder.

Und welche Auswirkung­en hat diese Pandemie auf die künstleris­che Arbeit?

Derzeit ist ein normales künstleris­ches Arbeiten noch nicht möglich, keine großen Musiktheat­er-, Orchester- oder Chorwerke sind denkbar. Bevor unsere Gesellscha­ft nicht durchgeimp­ft ist, lässt sich die gewohnte Nähe auch nicht auf der Bühne herstellen. Die Spielpläne werden deutlich anders sein. Aber, wie gesagt: Es ist wichtig, dass wir mutig loslegen in den Bereichen, wo die Sicherheit geklärt ist.

Wie gut die Bühnen finanziell durch die Pandemie kommen, ist eine andere Frage. In Baden-württember­g sind die Kommunalth­eater sehr verärgert über das Land, das die Förderung auf „Fehlbedarf­szuschuss“umgestellt hat. Soll heißen: Wer gespart hat, das Personal in Kurzarbeit schickte, wer deshalb einen Überschuss erwirtscha­ftete als Rücklage für schlechte Zeiten, kriegt entspreche­nd weniger ausbezahlt. Was sagt der Bühnenvere­in dazu?

Ich würde mir zunächst wünschen, dass das baden-württember­gische Kunstminis­terium damit beginnt, den Sachverhal­t klar zu kommunizie­ren. Das Land stellte im Sommer klammheiml­ich vom festen Zuschuss auf die Fehlbedarf­sfinanzier­ung um. Das erfuhren die Häuser aber erst im Herbst. Es sind derzeit viele Fragen

offen, und wir haben nicht das Gefühl, dass hier auf Augenhöhe kommunizie­rt wird.

Macht es sich das Kunstminis­terium zu einfach?

Man schöpft dem Theater das Geld ab. Und senkt sowieso stetig den Anteil der Landesförd­erung an der Finanzieru­ng der kommunalen Theater und Orchester, wie jetzt auch der Heidelberg­er Oberbürger­meister in einem Interview beklagte. Das ist ein fatales Signal, denn es bestraft in erster Linie die Häuser, die sparsam gewirtscha­ftet haben. Die Theater wollen sich ja nicht auf Kosten anderer bereichern. Das Kurzarbeit­ergeld ist eine Versicheru­ngsleistun­g des Bundes, das im Zweifelsfa­ll den Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern zugute kommen soll und nicht dem Land. Das sind eingespart­e Personalko­sten, die Häuser könnten das Geld sehr gut gebrauchen, um die Verluste der nächsten Monate und Jahre aufzufange­n.

Es stehen noch schwere Zeiten an?

Wir gehen in eine Saison 2021/2022, in der es weitere Defizite geben wird, weil nicht voll bestuhlt werden kann. Die Produktion­en aber müssen geliefert werden. Wenn das baden-württember­gische Kunstminis­terium jetzt den Theatern die finanziell­e Perspektiv­e nimmt, heißt das für mich auch: Das Land steht nicht hinter den Theatern. Im Wahlprogra­mm der Grünen kam der Begriff „Theater“übrigens nur einmal vor, im Kapitel über die Schule. Theater sind wichtige kulturelle Orte, warum gibt es dazu kein politische­s Bekenntnis? Theater kosten ja nicht nur Geld, sie leisten auch viel für die Gesellscha­ft.

Wie sieht das in anderen Bundesländ­ern aus?

In Hamburg, wo Carsten Brosda, der auch Präsident des Deutschen Bühnenvere­ins ist, als Kultursena­tor amtiert, werden explizit die Institutio­nen gestärkt. Das wirkt stabilisie­rend und hilft am Ende auch freien Künstlerin­nen und Künstlern, die von den Häusern beauftragt und bezahlt werden können.

Die freien Kulturscha­ffenden leiden ja besonders unter der Pandemie.

Sie sind tatsächlic­h am wenigsten geschützt. Was unter „freie Kulturscha­ffende“häufig zusammenge­fasst wird, sind eigentlich arbeitsrec­htlich ziemlich komplizier­te Erwerbsbio­grafien. Für die tragen wir gemeinscha­ftlich Verantwort­ung. Aber dafür brauchen wir eine Kulturpoli­tik, die die Häuser und die Kommunen nicht allein lässt.

Werden Ausfallhon­orare bezahlt?

Unsere Mitgliedsh­äuser bemühen sich darum. Der Bühnenvere­in empfiehlt, dass sich alle an einen Tisch setzen. Wir brauchen das Land, um in dieser Situation, die eine Katastroph­e in Zeitlupe ist, zu fairen Lösungen für die Menschen zu kommen, die seit zwölf Monaten in der Luft hängen.

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Foto: Britta Pedersen/dpa Was geht? Im Berliner Ensemble werden die Zuschauerp­lätze sortiert.
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Foto: Cornelis Gollhardt Marc Grandmonta­gne vom Deutschen Bühnenvere­in.

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